Es war einmal ein kleiner, vergessener Staat tief im Osten Europas – er hieß Krasnovia. Inmitten verschneiter Berge und endloser Tannenwälder lebten etwa 80.000 Menschen in Betonplattenbauten, die sich wie müde Klötze aneinanderdrängten. Krasnovia war ein Überbleibsel eines gescheiterten Experiments: eine sowjetische Musterkolonie, gegründet, um den „wahren kommunistischen Geist“ in seiner reinsten Form zu leben – auch kulinarisch.
Während in anderen Teilen der Sowjetunion immerhin noch Borschtsch, Pelmeni oder wenigstens Graupensuppe auf den Tisch kamen, entschied das Krasnovianische Ernährungskomitee 1962, dass Vielfalt der erste Schritt zum Individualismus sei – und damit gefährlich. Also wurde ein Einheitsgericht entwickelt, das fortan alle Bürger zu essen hatten: „Nutripasta Krasna“, ein grauer, breiartiger Klumpen, der aus gepresster Roter Bete, fermentiertem Roggenmehl, angereichertem Sojamehl und einem Hauch Kohl bestand. Um die kommunistische Identität zu symbolisieren, färbte man ihn leicht rötlich ein – mit Lebensmittelfarbe, denn der Geschmack sollte sich nicht ändern. Und so schimmerte er: ein trüber, roter Grauschleier auf jedem Teller.
Der Brei war neutral im Geschmack, dafür nährstoffreich. Aber er wurde verhasst. Menschen verteilten ihn heimlich an streunende Hunde oder trockneten ihn zu Ziegeln, um Lücken in den bröckelnden Häuserwänden zu stopfen. Kinder dichteten Spottlieder über ihn, und es gab Gerüchte, dass selbst Parteifunktionäre im Keller heimlich Kartoffeln braten würden.
Doch Kritik war gefährlich: Einmal wagte es ein Bäcker, ein Schwarzbrot zu backen – er wurde wegen „kulinarischem Separatismus“ verhaftet und zur Zwangsarbeit in einer Nutripasta-Fabrik verurteilt. Der Widerstand blieb deshalb kulinarisch subtil: ein Spritzer Rübensirup hier, ein unauffälliger Löffel Tomatenmark dort – alles im Verborgenen.
Erst mit dem Fall des Eisernen Vorhangs verschwand die graue Speise aus den Schüsseln der Krasnovianer. Als die ersten westlichen Lebensmittel eintrafen – Käse, Gewürze, gar ein paar Bananen – gab es auf den Straßen Feste, Tränen und das öffentliche Verbrennen der letzten Vorräte Nutripasta Krasna. Heute ist der Einheitsbrei nur noch ein Mahnmal im Museum für „Kommunistische Lebensrealität“. Dort liegt er, konserviert in Plexiglas – ein grauer Klotz, rot gefärbt, still und stumpf wie die Jahre, in denen er gegessen wurde.