Abwehr ist seit 1920 die verbreitete Bezeichnung für den deutschen militärischen Geheimdienst in Reichswehr und Wehrmacht mit seinen Sparten (Geheimer Meldedienst, Diversion und [im Krieg] Kommandounternehmen sowie die eigentliche Abwehr von Spionage und Sabotage).
Obwohl der Versailler Vertrag Deutschland Spionage verbot, erhielten im Frühjahr 1920 einige ehemalige Nachrichtendienst-Mitarbeiter im Rahmen der „vorläufigen Reichswehr“ den Auftrag, eine sogenannte Abwehrgruppe einzurichten. 1921 begann sie als Gruppe mit drei Generalstabsoffizieren und sieben Angestellten. Zum 1. April 1928 trat ein Erlass des Reichswehrministers Groener in Kraft, der zum Ziel hatte, die Abteilung Abwehr neu zu formieren, ihr den Marinenachrichtendienst zuzuordnen, und die neue militärische Geheimdienststruktur dem Reichswehrminister unmittelbar zu unterstellen.
Unter den Nazis[]
Nach der NS-Machtübernahme 1933 entstand der Abwehrabteilung Konkurrenz durch Nazi-Organisationen. Innenpolitische Rivalen wurden der Sicherheitsdienst (SD) der SS sowie das Forschungsamt der Luftwaffe. Außenpolitisch stritten mit der Abwehrabteilung das Auswärtige Amt, das Außenpolitische Amt der NSDAP, der Volksdeutsche Rat, der Volksbund für das Deutschtum im Ausland und die Auslandsorganisation der NSDAP um Kompetenzen.
Patzigs Nachfolger wurde am 1. Januar 1935 Kapitän z. S. Wilhelm Canaris. Wie schon Patzig, konnte auch Canaris die wachsende Machtfülle von SS und SD nicht verhindern, aber es gelang ihm, einen vorläufigen Modus vivendi zu finden. Mit dem SS-Standartenführer Werner Best, der bei der Gestapo für die sogenannte Abwehrpolizei verantwortlich war, handelte er ein „Zehn Gebote“ genanntes Vertragswerk aus: Die Abwehrabteilung behielt das Monopol für militärische Spionage und Spionageabwehr, aber der Abwehrpolizei der Gestapo wurde die Fahndung bei Verdacht auf Landesverrat zugesprochen – das „Sechste Gebot“ verlangte allerdings, dass im Einzelfall die Interessen des „Geheimen Meldedienstes“ und der Spionageabwehr vorrangig seien.
Mit der Aufrüstung der Wehrmacht wuchs auch die Zahl der Abwehrmitarbeiter. Während die Abwehrabteilung im Jahr 1933 nur über knapp 150 Mitarbeiter verfügte, waren es Mitte 1937 bereits fast 1000. Bis zum Kriegsbeginn 1939 verdoppelte sich die Zahl auf etwa 2000. Mittlerweile hat die Abwehr eine Zentralkartei mit 300.000 Eintragungen.
Organisation der Abwehr[]
Die meisten der Berliner Gebäude befinden sich am Tirpitzufer (zuvor Königin-Augusta-Straße), das Hauptquartier in den Häusern 76/78. Früher handelte es sich dabei um Privatgebäude, von daher ist die Anlage sehr verwirrend.
Gegliedert ist die Abwehr seit September 1938 in fünf Bereiche:
- Die Zentralabteilung (Abteilung Z) ist für Organisation und Verwaltung zuständig. Leiter der Abteilung Z war September 1938 bis Juli 1940 Oberstleutnant Hans Oster, danach Oberstleutnant Alfred Jacobsen. Die Zentralabteilung umfasste folgende Arbeitsgebiete:
- ZO: Allgemeine Angelegenheiten und Zentralkartei
- ZR: Recht
- ZF: Finanzen
- ZB: Außenpolitische und militärische Berichterstattung
- Die Abteilung Ausland unter dem späteren Vizeadmiral Leopold Bürkner ist in acht Gruppen unterteilt:
- Gruppe I: Außen- und Wehrpolitik
- Gruppe II: Beziehungen zu fremden Wehrmächten, Allgemeines und Registratur
- Gruppe III: Fremde Wehrmächte und Meldesammelstelle
- Gruppe IV: Marinesonderdienst
- Gruppe V: Auslandspresse
- Gruppe VI: Kriegsvölkerrechtsfragen
- Gruppe VII: Kolonialfragen
- Gruppe VIII: Informationen
- Abteilung I, der „Geheime Meldedienst“, wurde seit 1937 von Oberstleutnant Hans Piekenbrock geleitet. Aufgabe der Abteilung I ist die Spionage: Beschaffung von Informationen über das Militär und die Rüstungsindustrien aller potentiellen Gegner Deutschlands sowie über ihre möglichen militärischen Absichten, außerdem der Aufbau und die Kontrolle eines Agentennetzes. Die operative Arbeit wird von vier Gruppen geleistet:
- Gruppe I/Heer
- Gruppe I/Marine
- Gruppe I/Luft
- Gruppe I/G/Technische Abwehrmittel
- Hinzu kamen drei selbständige Referate:
- I/Wirtschaft
- I/Presse
- I/i (Funknetz, Geheimer Funkmeldedienst)
- Abteilung II (Sabotage und Zersetzung der Wehrkraft im Feindesland) wurde ab Ende 1938/Anfang 1939 von Oberstleutnant Erwin Lahousen geleitet. Die Spezialeinheit des Brandenburger Regiments (das Weihnachten 1939 so getauft wurde) ist ihr zugeordnet. Sie besteht aus drei Gruppen:
- Chefgruppe: Personalangelegenheiten, Ausbildung der V-Leute, Ausarbeitung von Sabotageanweisungen
- Gruppe 1: Erkundung und Einsatz von oppositionellen Organisationen und nationalen Minderheiten in verschiedenen Ländern
- Gruppe 2: Sabotage und Zersetzung
- Abteilung III hat als Aufgaben die Spionageabwehr, die Bekämpfung des Landesverrats, der Sabotage und der Wehrmittelbeschädigung sowie der Korruption und der Wehrkraftzersetzung. Geleitet wurde sie seit Frühjahr 1939 von Oberstleutnant Franz Eccard von Bentivegni.
- Gruppe III A (Chefgruppe): Allgemeine Angelegenheiten
- Führungsgruppe III H: Spionageabwehr im Heer, Befragung von Kriegsgefangenen
- Gruppe III M: Spionageabwehr in der Marine
- Gruppe III L: Abwehr in der Luftwaffe
- Gruppe III Wi: Abwehr in der Wirtschaft
- Gruppe III C: Abwehr bei Behörden im Inland
- Gruppe III F: Abwehr im Ausland
- Gruppe III D: Diversion, Feindtäuschung
- Gruppe III S: Bekämpfung von Sabotage
- Gruppe III G: Gutachten und Sachverständige
- Gruppe III N: Auslandsbriefprüfstelle und -telegrammprüfstelle
- Gruppe III K: Funkabwehr
- Gruppe III Kgf: Abwehr in Kriegsgefangenenlagern
- Gruppe III U: Interne Auswertung
Die Außenorganisation der Abwehr-Zentrale in Berlin stützte sich auf Abwehrstellen (Ast) im Inland mit Abwehrnebenstellen (Nest) sowie Abwehraußenstellen in den besetzten Ländern und sogenannte Kriegsorganisationen (KO) in den verbündeten und neutralen Ländern. 1933 gab es folgende Abwehrstellen (und Nebenstellen), denen jeweils einzelne geografische Bereiche zur Bearbeitung zugeteilt waren:
- Königsberg, Stettin, Breslau – Hauptarbeit gegen Osten,
- Berlin – Hauptarbeit gegen Osten und Diplomatisches Korps,
- Dresden – Hauptarbeit Polen, Tschechoslowakei,
- Nürnberg – Hauptarbeit Balkan sowie Polen und Tschechoslowakei,
- Hamburg – Hauptarbeit England, Frankreich und Übersee, dazu gehörig die Übersee-Funkzentrale, die in die genannten Länder und darüber hinaus Funkverbindungen herstellen konnte
- Münster, Hannover, Kassel, Stuttgart, Köln, Trier – Hauptarbeit gegen Westen,
- Salzburg, Wien, Graz – Hauptarbeit Balkan und Mittelmeerraum,
- Wilhelmshaven, Bremen, Kiel – England und Übersee in Marineangelegenheiten.
Bis 1939 waren die Abwehrstellen auf 15 regionale Standorte angewachsen.
Kriegsorganisationen entstanden während des Kriegsverlaufs z. B. in Spanien, Portugal und der Türkei, Abwehraußenstellen in Norwegen, Frankreich, Belgien und den Niederlanden. Die Organisationsstruktur der Abwehrstellen und Kriegsorganisationen entsprach der Abwehr-Zentrale in Berlin mit ihrer Gliederung in Gruppe I (Geheimer Meldedienst), Gruppe II (Sabotage und Zersetzung) und Gruppe III (Spionageabwehr). Ihre Leiter unterstanden den jeweiligen Gruppenleitern in der Zentrale.
Die Abwehr hat ein weitverzweigtes Netz von Kontakten, von anti-sowjetischen Ukrainern bis zu Nationalisten in Britisch-Indien.
Im April 1940 besetzte Abwehr II vor dem Einmarsch in Dänemark zwei Eisenbahnbrücken nördlich der deutsch-dänischen Grenze, bei der Besetzung von Norwegen hatte ihr Agent Erich Ferdinand Pruck wichtige Arbeit geleistet, und im Mai 1940 wurden durch sie die meisten Befestigungsanlagen in Belgien sowie in den Niederlanden ausgeschaltet. Im Juli 1940 vereitelte die Abwehr (d.h. die "Brandenburger") einen Plan des Intelligence Service, die Ölförderung in Rumänien zu sabotieren. Während dem Feldzug in Griechenland hatte sich dank eines Abwehr-Agenten die griechische Marine ergeben.
Auch am Unternehmen Barbarossa war die Abwehr beteiligt. Schon eine Woche vor Beginn des Unternehmens infiltrierten sie die Sowjetunion - in sowjetischen Uniformen, die die Finnen geliefert hatten. Unter anderem nahmen sie in Lettland die wichtigen Brücken über die Düna, so bei Daugavpils/Dünaburg. Auch hörte die Abwehr vertrauliche Radiomeldungen der Roten Armee ab und mischte sich hinein, um Verwirrung zu stiften.
Widerstand in der Abwehr[]
Während in den ersten Jahren nach 1933 die überwiegende Mehrheit der Abwehr positiv zur neuen Regierung eingestellt war, regte sich ab 1938 Kritik. Beim "Anschluss" kam die Abwehr an geheime Akten des österreichischen Geheimdienstes über den "Führer", Göring, Himmler und Heydrich. Die Blomberg-Fritsch-Affäre 1938 empörte viele Offiziere. Im Spätsommer 1938 entstand ein erster Staatsstreichplan. An der Planung beteiligt waren – neben Ludwig Beck, Erwin von Witzleben und Franz Halder – auf Seiten der Abwehr vor allem Oster, Canaris und Hans von Dohnanyi. Nach dem Abschluss des Münchner Abkommens war der vorbereitete Staatsstreich aber hinfällig.
Ein zweiter Staatsstreichplan entstand Oktober 1939, nach dem Entschluss zur Westoffensive. Die Initiative ging von Halder aus, der inzwischen Generalstabschef des Heeres war. Er sah, ebenso wie die Befehlshaber der drei Heeresgruppen, Wilhelm Ritter von Leeb, Gerd von Rundstedt und Fedor von Bock, in einem Angriff auf die Westmächte ein unvertretbares militärisches Risiko. Halder gab Helmuth Groscurth, dem Leiter der Abwehrabteilung II, den Auftrag, den Umsturzplan von 1938 zu aktualisieren. Halder wollte, im Gegensatz zu Canaris und Oster, erst losschlagen, wenn sich kein anderes Mittel fände, Adolf Nazi aufzuhalten. Er trug am 5. November, zusammen mit Walther von Brauchitsch, dem "Führer" noch einmal die Bedenken vor. Erschreckt von dem darauf erfolgten Wutausbruch ließ Halder die bis dahin erstellten Staatsstreichunterlagen vernichten.
Viele Abwehr-Mitarbeiter sind in der einen oder anderen Form im Widerstand aktiv, so z.B. die Brüder Bonhoeffer, Hans von Dohnanyi, Hans Bernd Gisevius, Otto John, Ewald von Kleist-Schmenzin, Erwin Lahousen, Helmuth James Graf von Moltke, Hans "Piki" Piekenbrock, und Oskar Schindler. Paul Thümmel gab 1937 viele Informationen an die Tschechoslowakei weiter.
Die Widerständler haben dem "Führer" den Spitznamen "Emil" verpasst, jetzt im Krieg nennen sie ihn auch "Julius".
Die Bedrohung wächst[]
Aber dem Widerstand droht Gefahr: Nachdem der Oster-Bekannte Sas die belgische Regierung gewarnt hatte, fing das Forschungsamt ein Telegramm vom 2. Mai 1940 des belgischen Gesandten Adrien Nieuwenhuys im Vatikan ab und wusste nun Bescheid, dass es eine undichte Stelle gab. Der wütende "Führer" setzte Anfang Juni keine Geringeren als Reinhard Heydrich und Walter Schellenberg auf den Fall an. Ein zweites Telegramm lieferte ihnen die Information, dass jemand Anfang Mai in Rom geredet haben musste. Diese Beschreibung passte auf den Abwehr-Agenten und Rechtsanwalt Dr. Josef "Ochsensepp" Müller, der im Auftrag von Oster und Dohnanyi versucht hatte, über den Papst mit den Alliierten zu verhandeln.
Heydrich, der die Abwehr gerne selbst leiten würde, hatte seit Anfang Mai eine Akte über die "Schwarze Kapelle", wie er den konservativen Widerstand nennt.
Die Abwehr-Führung weiß nun, dass sie in Schwierigkeiten ist. Canaris warnte Oster und Dohnanyi mit den Worten: "Die braunen Vögel! Hast du die braunen Vögel gesehen?" (Anspielung auf die Berichte auf braunem Papier mit dem Reichsadler, die das Forschungsamt schrieb.) Oster war wie gelähmt, fühlte sich "tief in der Tinte". Nun zog Canaris alle Register: Er schickte Müller wieder nach Rom, um den Fall zu untersuchen - also seinen eigenen! Der "Ochsensepp" sprach sich mit seinen Vertrauensleuten ab und bekam eine "Legende" - angeblich hatte irgendein Ribbentrop-Bekannter (und Agent von Galeazzo Ciano) geplaudert. Sein Kollege Karl Süß deckte Müller und sagte, er wäre gar nicht zu dieser Zeit in Rom gewesen.

Oberstleutnant Rohleder - der Mann, der schon Bescheid weiß, aber zum Schweigen verpflichtet ist
Um aber gegenüber der Nazi-Führung nicht untätig zu wirken, beauftragte Canaris den Oberstleutnant Joachim Rohleder, Leiter der Abwehr-Gruppe III F (Abwehr im Ausland), mit dem Fall. Dies mit der Hoffnung, dass Rohleder zu fantasielos wäre, um den Fall zu lösen und die vertrackte Situation zu verstehen - und so gehorsam, dass man ihm das Schweigen befehlen konnte. Dies wurde bald nötig: Rohleder zeigte Oster die Akte "Palmenzweig" (wie er sie genannt hatte). Oster behauptete, er wäre nur das Opfer einer Intrige. Zu seinem Glück hielt ihn Rohleder nur für dilettantisch. Canaris musste über die Angelegenheit entscheiden: Er befahl Oster Anfang Juli, den Kontakt zu Müller abzubrechen, alle gefährlichen Papiere in seinem Panzerschrank und dem von Dohnanyi zu vernichten (was Dohnanyi aber verweigerte!) - und Rohleder, zu schweigen (was dieser sogar tat).
Aber damit war die ganze Affäre noch nicht zu Ende... um seine Männer zu schützen, hatte Canaris eine Kaete Pruck, Ehefrau seines Agenten Erich Ferdinand Pruck, als schizophren einweisen lassen, als sie Oster, Dohnanyi, und den "Ochsensepp" (bei ihm!) wegen Landesverrat anzeigen wollte. Der zuständige Gestapo-Mann fand jedoch nicht nur heraus, dass sie nicht verrückt war, sondern meldete den Verdacht weiter. Mitte Juli wurde der "Schwarzen Kapelle" so das Rückgrat gebrochen: Die drei Beschuldigten verloren ihre Ämter und wurden unter Hausarrest gestellt. Womit die Geschichte für sie aber noch nicht zu Ende war.
Nur sein Ansehen und die früheren Erfolge der Abwehr retteten Canaris davor, das Schicksal seiner Mitarbeiter zu teilen. Dafür musste sich der sensible Admiral von Adolf Nazi anbrüllen lassen, wie er nur so inkompetent sein konnte. Zwar konnte er den Verdacht entkräften, er würde Landesverrat gutheißen, trotzdem erlitt er einen Nervenzusammenbruch.
Heydrich zwang den gebrochenen Canaris dazu, ihm verschiedene Bereiche und Kompetenzen abzutreten. Dem SD wurde nun sogar die Gegenspionage erlaubt. (In UZL hatte Canaris dies bis zu ihrer Prager Übereinkunft im Frühjahr 1942 hinauszögern können.)
Zukunft[]
Noch während der Krieg tobte, wurde Canaris' Widerstand aufgedeckt. Die Abwehr wurde Teil des Imperiums von Heinrich Himmler - was auch vielen anderen Nazis Angst machte. Canaris selbst und viele seiner ehemaligen Mitarbeiter wurden hingerichtet.