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Haken Dieser Artikel der Zeitlinie EUWR ist vollständig ausgearbeitet

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Als Diadochenkämpfe oder Diadochenkriege wird im Volksmund eine Phase interner Konflikte und Machtkämpfe im Großdeutschen Reich unter den mächtigsten Männern des NS-Regimes nach dem Attentat auf Adolf Hitler am 20. April 1939 bezeichnet. Als Hauptkontrahenten traten dabei der offiziell ernannte Nachfolger Hitlers, Generalfeldmarschall Hermann Göring, und der Reichsführer SS und zweitmächtigste Mann im Reich, Heinrich Himmler, in Erscheinung, weshalb diese Phase im englischsprachigen Raum auch unter der Bezeichnung Goering-Himmler War bekannt geworden ist. Der Begriff stammt ursprünglich vom britischen Außenminister Ernest Bevin, der ihn im Zusammenhang einer Rede nutzte, mit der er seine Ablehnung der Fortsetzung der deutsch-britischen Ausgleichsbemühungen vom Sommer und Herbst 1939 begründete. Tatsächlich umfasste der Konflikt weit mehr Fraktionen, die sich in schnell wechselnden Bündnissen gegenseitig einzuhegen oder auszustechen versuchten. Spätestens mit dem gescheiterten Himmlerputsch vom 9. November 1943 und dem anschließenden Selbstmord des Reichsführers muss diese Phase als abgeschlossen gelten. Ihr folgten zwei Jahrzehnte erdrückender gesellschaftlicher Lähmung, die Bleierne Zeit.

Ausgangslage[]

Am 20. April 1939 fiel der Führer und Reichskanzler Adolf Hitler einem Attentat des britischen Militärattachés Noel Mason-MacFarlane zum Opfer. Der Tod ihres Nationalhelden ließ viele Deutsche schockiert und ratlos zurück. Ein Deutschland ohne Hitler – für viele war dies schon kaum noch vorstellbar. Nicht zuletzt, weil eine klare Perspektive auf das Morgen fehlte, weil keine offizielle Nachfolgeregelung bekannt war, lagen viele Deutsche in der Nacht stundenlang wach. Andere diskutierten bis in die frühen Morgenstunden in den Eckkneipen, wer aus dem engsten Führungskreis wohl die besten Chancen habe, sich als Hitlers Nachfolger durchzusetzen, und was das für die Zukunft Deutschlands jeweils bedeuten würde.

Der Nachfolger des Führers und Reichskanzlers: Hermann Göring[]

Hitler Goering

Adolf Hitler hatte Hermann Göring bereits im Dezember 1934 per Geheimerlass zu seinem Nachfolger als Führer und Reichskanzler ernannt

Tatsächlich hatte Hitler aber für diesen Fall im engsten Kreis bereits früh Vorkehrungen getroffen. Im Gesetz über den Nachfolger des Führers und Reichskanzlers vom 13. Dezember dekretierte Hitler, dass er „bis zur Schaffung einer neuen Verfassung seinen Nachfolger selbst bestimmen“ konnte. In einem ersten Geheimerlass, zurückdatiert auf den 7. Dezember, ernannte er Hermann Göring zu seinem Nachfolger in beiden Ämtern. Die drei Exemplare dieses Erlasses lagerten bei Hitler persönlich, bei Kanzleichef Hans Heinrich Lammers und bei Reichswehrminister Werner von Blomberg. Göring selbst wurde damals nur mündlich informiert. 1936 wurden die Mitglieder der Reichsregierung über die Nachfolgeregelung in Kenntnis gesetzt und diese am 23. April 1938 noch einmal per Erlass bestätigt. Die Machtverhältnisse im Reich allerdings hatte Hitler absichtlich ungeordnet gelassen. So hatte Hitler erfolgreich dafür gesorgt, dass niemand innerhalb der NS-Führungsriege jemals für ihn selbst zu einer Gefahr werden könnte. Denn so ineffektiv die nationalsozialistische Polykratie für die Verwaltung des Reiches war, so effektiv war sie, um sicherzustellen, dass nur ein Mann alle Einzelteile dieses Puzzles verband: Adolf Hitler.

Im undurchsichtigen Geflecht des Dritten Reiches hatte Göring sich ein höchstmögliches Maß an unzusammenhängenden Einzelposten gesichert, die alle auf ihre Art einen wesentlichen Beitrag zu seiner Machtentfaltung leisteten. Er war Preußischer Ministerpräsident, Präsident des Preußischen Staatsrates, Präsident des Reichstages, Stellvertretender Vorsitzender des Reichsverteidigungsrates, Reichsminister der Luftfahrt, Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Beauftragter für den Vierjahresplan, Reichsbeauftragter für Rohstoff- und Devisenfragen, Leiter der staatseigenen Reichswerke Hermann Göring, Mitglied des Geheimen Kabinettsrates, Reichsforst- und Reichsjägermeister. Eine vergleichbare Ämterfülle hatte kein anderes Mitglied der NS-Führungselite vorzuweisen. Dies konnte ein Vor- und Nachteil zugleich sein. Einerseits sorgte dies, wie bereits erwähnt, für einen hohen Koordinierungsaufwand, andererseits auch für eine große Vielseitigkeit und Breite seiner Machtbasis.

Der Griff nach der Macht[]

Als Hitler am 20. April 1939 sein Leben verlor, war Göring also mit ausreichenden Machtmitteln ausgestattet, seinen Anspruch durchzusetzen, und willens, dies auch zielstrebig und skrupellos zu tun. Er wusste nur zu gut, dass in kritischen Situationen schnelles Handeln erforderlich war. Dass er dazu in der Lage war und dieses Handeln taktisch klug zu inszenieren wusste, beweisen Fälle wie sein Kampf um die Oberhoheit über die Preußische Geheimpolizei 1934 oder die freilich unrühmliche Ummünzung der Zerstörungen im Rahmen der Novemberpogrome 1938 in eine Strafsteuer, die den Juden selbst auferlegt wurde, um dem Staat Schäden an ihrem eigenen Eigentum zu ersetzen.

Dementsprechend unternahm er bereits unmittelbar nach dem Attentat die notwendigen Schritte, um seine Position durchzusetzen. Zunächst einmal tat er das, wozu ihn Hitler selbst in seinem Ernennungserlass verpflichtet hatte:

„Er hat unmittelbar nach meinem Tode die Mitglieder der Reichsregierung, die Wehrmacht des Deutschen Reiches sowie die Formationen der SA und SS auf seine Person zu vereidigen.“

Er besorgte sich umgehend bei Hans Heinrich Lammers, dem Chef der Reichskanzlei, Abschriften des Nachfolgegesetzes und des Ernennungserlasses und beorderte anschließend alle im Erlass Aufgezählten schnellstmöglich in die Neue Reichskanzlei, um ihnen den geforderten Eid abzunehmen. Aufgrund der Geburtstagsfeierlichkeiten für den Führer weilten ohnehin alle Angesprochenen in Berlin. Dies betraf:

  • Alle Mitglieder der Reichsregierung Hitler (Wilhelm Frick, Joachim von Ribbentrop, Walther Funk, Lutz von Krosigk, Franz Seldte, Franz Gürtner, Wilhelm Ohnesorge, Julius Dorpmüller, Walther Darré, Joseph Goebbels, Bernhard Rust, Hanns Kerrl, Rudolf Heß, Hans Frank, Hjalmar Schacht, Otto Meissner, Hans Heinrich Lammers)
  • Die Führungsspitzen der Wehrmacht (Generaloberst Walther von Brauchitsch, Großadmiral Erich Raeder, General der Artillerie Wilhelm Keitel und Generaloberst Erhard Milch als leitenden Staatssekretär im Luftfahrtministerium und Stellvertreter Görings, sowie die Generalstabschefs General der Artillerie Franz Halder, Oberst Hans Jeschonnek, Admiral Otto Schniewind und Oberst Walter Warlimont)
  • Den Chef des Stabes der SA Viktor Lutze
  • Den Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei Heinrich Himmler

Weitgehend überrumpelt von diesem Vorgehen regte sich keinerlei Widerstand und alle ließen sich ohne zu zögern vereidigen. SA-Leiter, SS-Führer und Wehrmachtsführung sollten dafür Sorge tragen, dass auch die nachgeordneten Stellen schnellstmöglich auf das neue Staatsoberhaupt vereidigt würden. Die bestehenden Strukturen ließ Göring zunächst unangetastet. Alle wichtigen Entscheidungsträger blieben vorläufig auf ihren Posten. Der größte Teil der Minister aus Hitlers Kabinett konnte seine Arbeit auch unter Göring fortsetzen, wobei dieser jedoch innerhalb der Reichsregierung anderen Kräften den Vorzug gab als sein Vorgänger.

Goering Rede

Hermann Göring während seiner Antrittsrede als Staatsoberhaupt vor dem Großdeutschen Reichstag, 21. April 1939

In ähnlicher Weise dürfte eine öffentliche Proklamation von Görings Anspruch zu erwarten sein. Dass der Reichstag sich kurzfristig für eine solche Proklamation einberufen ließ, zeigt der Überfall auf Polen. Göring hätte dies als Reichstagspräsident noch am Tag des Attentats in die Wege leiten können. Ohnehin wäre es nicht darauf angekommen, alle Abgeordneten zu versammeln. Der Reichstag war als Podium wesentlich, als Debattenraum jedoch angesichts der Verfassungswirklichkeit überflüssig. Einer beschlussfähigen Mehrheit hätte es angesichts des deklaratorischen Charakters der Sitzung ohnehin nicht bedurft.

Noch für den Abend des 20. April berief Hermann Göring auch den Großdeutschen Reichstag als dessen Präsident zu einer außerordentlichen Sitzung ein. Er eröffnete die Sitzung um 18:00 Uhr, indem er den Text des Gesetzes über den Nachfolger des Führers und Reichskanzlers vom 13. Dezember 1934 sowie den Erlass über die Ernennung von Hermann Göring zum Nachfolger des Führers und Reichskanzlers vom 23. April 1938 vor den versammelten Abgeordneten verlas. Somit war allen Anwesenden klar, dass Göring mit vollem Recht das Erbe Hitlers anzutreten beabsichtigte. Eine formelle Vereidigung sah das Gesetz nicht vor. In seiner ersten Ansprache als Staatsoberhaupt erklärte der Feldmarschall, dass er schweren Herzens und in Übereinstimmung mit den ausdrücklichen Wünschen Hitlers die Führung des Reiches übernommen habe und gedenke, in seinem Geiste fortzufahren, den Nationalsozialismus und das Großdeutsche Reich ihrer letztlichen Bestimmung entgegenzuführen - Deutschland wieder zur führenden Macht Europas zu machen. Auch kündigte er entschiedene Vergeltungsmaßnahmen gegenüber den Hintermännern des Mordanschlags an und drohte Großbritannien mit einer "Demonstration von Deutschlands Stärke und Entschlossenheit". Die Rede wurde in voller Länge auf allen Radiosendern verbreitet, sodass das Volk noch am selben Abend über die Nachfolgeregelung an der Spitze informiert war.

Am Rande einer britisch-deutschen Konfrontation[]

Henderson Goering (3)

Hermann Göring mit dem britischen Botschafter Nevile Henderson

Am Vormittag des 21. April war das drängendste Problem, dem sich das neue Staatsoberhaupt des Großdeutschen Reiches stellen muss, die Frage, wie das Reich auf den Mord an seinem Führer durch einen britischen Diplomaten reagieren sollte, bei dem noch keineswegs klar war, ob und inwieweit offizielle Stellen der britischen Regierung oder des britischen Geheimdienstes daran beteiligt waren oder wenigstens über Erkenntnisse verfügten, die den Anschlag hätten verhindern können. Schon für den Morgen berief Göring den Geheimen Kabinettsrat zu einer ersten Sitzung in der Neuen Reichskanzlei ein, um das weitere Vorgehen abzustimmen und die nächsten Schritte gegenüber Großbritannien zu planen.

Im Geheimen Kabinettsrat prallten sehr konträre Positionen aufeinander. Insbesondere die Position von Außenminister Joachim von Ribbentrop, der bereits seit längerer Zeit versucht hatte, das Reich gegen Großbritannien in Stellung zu bringen, fand nun deutlich mehr Gehör. Auch die Partei und der Propaganda-Apparat schürten weiter in der Bevölkerung anti-britische Gefühle und versuchten, die Bevölkerung auf einen kommenden Konflikt einzuschwören. Insbesondere Propagandaminister Goebbels ließ keine Gelegenheit aus, gegen den MI6 und die britische Regierung zu polemisieren. Insbesondere Admiral Hugh Sinclair, der Leiter des Geheimdienstes, wurde zur steten Zielscheibe seiner Angriffe.

Demgegenüber standen diejenigen Kräfte, die einen rationalen, realpolitischen Kurs forcieren wollten. Zu diesen gehörten neben Göring selbst vor allem die führenden Wirtschaftsvertreter, denen nur allzu bewusst war, dass das Großdeutsche Reich mit seiner Aufrüstungs- und Autarkiepolitik im Begriff war, volkswirtschaftlich vor die Wand zu fahren. Allein schon aus wirtschaftlichen Erwägungen schien also eine Verständigung mit den Briten unumgänglich. Die Generalität befürchtete dagegen vor allem eine Wiederholung des Stellungs- und Abnutzungskrieges von 1914-1918 und eine erneute Niederlage gegen die Westmächte.

Welche Position konnte Göring gegenüber Großbritannien also sinnvollerweise einnehmen? Zunächst einmal schlug er einen brachial-martialischen Ton an, um die Briten den Zorn des Reiches spüren zu lassen. Premierminister Chamberlain hatte ja schon vielfach bewiesen, zu wie großen Konzessionen er bereit war, um die Chance auf Frieden zu erhalten. Freilich war er seit der Zerschlagung der Rest-Tschechei in seinen offiziellen Verlautbarungen davon abgerückt, doch änderte dies nichts an seiner Grundeinstellung. Die Erfahrung des Weltkrieges hatte ihn tief geprägt und ließ ihn vor der Vorstellung eines erneuten Waffengangs erschaudern. Diese Grundhaltung des Premiers wollte Göring sich nun zunutze machen, zumal er nach dem 20. April massiv in die Defensive geraten musste. Hatte er bislang Hitler als Aggressor für seine eigenen harten Schritte verantwortlich machen können, war nun Großbritannien selbst moralisch beschädigt. Diese Hypothek des Mordanschlags wäre in irgendeiner Form abzugelten gewesen. Eine bloße Verweigerung deutscher Forderungen wäre also auf dem internationalen Parkett einem politischen Selbstmord gleichgekommen. Göring musste also, auf der erwartbaren Empörungswelle reitend, nichts weiter tun, als Chamberlain durch die Aussicht auf einen deutsch-britischen Krieg in die Enge zu treiben, um ihn zu - für ihn verschmerzbaren, aber für das Großdeutsche Reich wichtigen - Zugeständnissen zu zwingen. Diese Form von Brinkmanship hatte in der internationalen Politik bereits eine lange Tradition und war für Göring gegen einen zur Defensive gezwungenen Chamberlain das Mittel erster Wahl. Dies durfte aber nicht so weit gehen, Großbritannien öffentlich zu demütigen, denn dies hätte Görings eigentlichen Zielen geschadet. Denn sein wirkliches Ansinnen war keinesfalls, in erster Linie den Tod Hitlers zu rächen - dafür hätte er sinnigerweise den Kriegszustand erklären müssen - sondern sich in der Krise als fähiger Außenpolitiker zu beweisen, der die Interessen Großdeutschlands gegenüber den anderen Großmächten durchzusetzen imstande wäre.

Für diesen Kurs, der im Geheimen Kabinettsrat noch kontrovers diskutiert wurde, holte Göring sich im Anschluss die Rückendeckung durch ein weiteres, in dieser Lage wichtiges Gremium: Den Reichsverteidigungsrat. Als operatives Gremium konnte der Reichsverteidigungsrat, dessen Mitglied auch der Präsident des Geheimen Kabinettsrates qua Amt war, die notwendigen Maßnahmen einleiten und grundlegende Beschlüsse fassen. Nach der Erklärung des Verteidigungszustands war er mit umfassenden Notverordnungsrechten und Sondervollmachten ausgestattet, die ihn schon bald als eine Art Notstandsregierung oder Kriegskabinett etablierten. Im Reichsverteidigungsrat saßen nur die wichtigsten Minister, dafür waren die Oberkommandos der Teilstreitkräfte der Wehrmacht und das Oberkommando der Wehrmacht als stimmberechtigte Mitglieder vertreten, was das Kräfteverhältnis in der Reichsleitung deutlich in Richtung des Militärs verschob. Der Reichsverteidigungsrat stützte Görings Strategie und gab ihm freie Hand für die anstehenden Verhandlungen.

Direkt im Anschluss an die Sitzung des Reichsverteidigungsrates wurde der britische Botschafter einbestellt und ihm bedeutet, das Großdeutsche Reich betrachte die Ermordung Hitlers als kriegerischen Akt und halte sich alle Optionen offen. Als Minimalforderung an die englische Regierung formulierte Göring gegenüber Nevile Henderson die Bestrafung des Attentäters vor dem Volksgerichtshof. Darüber hinaus verlangte Göring eine Offenlegung aller Verbindungen des Attentäters zu offiziellen Stellen in der britischen Regierung, eine Forderung, die bereits Österreich-Ungarn 1914 gegenüber Serbien aufgebracht hatte. In einem zweiten Schritt wurde Botschafter Henderson das offizielle Schreiben Görings zur Kündigung des Deutsch-Britischen Flottenabkommens übergeben. Als Reaktion auf die Drohgebärden aus Berlin ließ Großbritannien seine Flotte in die Nordsee auslaufen und bereitete sich auf eine mögliche Blockade der deutschen Küste vor, für die bereits seit dem Winter konkrete Planungen der Admiralität vorlagen. Göring seinerseits versetzte die Luftwaffe in Verteidigungsbereitschaft und ließ Truppen an die Küste und an die Westgrenze verlegen. Im Hintergrund wuchs derweil der Druck auf Premierminister Chamberlain. Seine Sprachlosigkeit in den folgenden Tagen, in denen alles auf einen neuen Krieg zusteuerte, legten viele Beobachter als politische Führungsschwäche aus.

Chamberlain Halifax

Lord Halifax und Neville Chamberlain

Genau zwei Wochen nach dem Attentat fand der Prozess gegen Noel Mason-MacFarlane vor dem Volksgerichtshof statt. Am 4. Mai 1939 wurde er vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am 5. Mai frühmorgens in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Plötzensee durch den zuständigen Scharfrichter Friedrich Hehr mit der Guillotine enthauptet. Sein Leichnam wurde verbrannt und die Asche in der Spree verstreut. London bot, um die Hinrichtung zu verhindern, sogar die Zahlung eines Lösegeldes an und schickte einen Sondergesandten nach Berlin, in der Hoffnung, ein neues Abkommen aushandeln zu können, das die durch das Attentat entstandenen Spannungen auflösen würde. Göring blieb jedoch eisern und bestand auf dem Recht des Deutschen Volkes auf Vergeltung am Mörder seines Führers.

Am Morgen des 5. Mai reichte Arthur Neville Chamberlain bei König George VI. formell sein Rücktrittsgesuch ein. Die Hinrichtung eines britischen Diplomaten durch die deutsche Justiz war nur der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Seit dem Attentat reihte sich eine diplomatische Katastrophe an die nächste. Bereits zuvor hatte Chamberlain dem König nach einer Unterredung mit dem konservativen Fraktionsgeschäftsführer David Margesson den amtierenden Außenminister Lord Halifax als seinen Nachfolger empfohlen. Am Nachmittag desselben Tages trat Halifax erstmals als Premierminister ans Mikrofon und versprach, das Land besonnen durch diese Krise zu führen und die näheren Umstände des Anschlags schonungslos aufzuklären, um den Frieden in Europa zu bewahren und zu einer dauerhaften Friedensordnung zu gelangen, in die alle Nationen Europas eingebunden werden sollten. Damit streckte er die Hand gegenüber Göring weit aus und beugte sich de facto der Forderung des Feldmarschalls nach Offenlegung der Verbindungen des Attentäters. Damit war die erste heiße Phase der deutsch-britischen Konfrontation zunächst überstanden und die Reichsregierung konnte sich anderen, drängenden Fragen stellen.

Görings Ringen um Kontrolle und Einfluss[]

Triumvirat Goebbels Goering Hess

Die Reihen fest geschlossen nach außen, hinter verschlossenen Türen aber ärgste Rivalen: Goebbels, Göring und Heß

Nach diesen turbulenten ersten Wochen konnte Göring sich nun endlich der inneren und äußeren Konsolidierung seiner Herrschaft widmen. Obgleich Görings Führungsposition in den ersten Monaten und Jahren nicht offen zur Debatte stand, war doch sowohl im Inland als auch im Ausland allen klar, dass er nicht das Charisma besaß, das nötig war, um die übrige Führung dauerhaft durch einen Personenkult an sich zu binden. Innerhalb der Reichsregierung traten sich widersprechende persönliche Interessen der Minister unter Göring deutlich offener zutage und wurden vehementer verfolgt, als dies einer der Beteiligten unter Hitler je gewagt hätte. Sie gaben sich zudem selbstbewusster und nutzten ihre Verordnungskompetenz, um direkt in ihrem Sinne auf die Reichsverwaltung einzuwirken. Wo ein Sachthema mehrere Ministerien berührte, kam es nicht selten zu inhaltlichen Konfrontationen zwischen den Ministerien, die sich widersprechende Anweisungen an die ihnen unterstellten Behörden weitergaben. In diesem Wirrwarr von divergierenden Einzelinteressen blieb Göring nichts anderes übrig als jedem anderen Politiker: Er musste versuchen, Kompromisse zu schließen. An dieser Stelle trug Görings Führungsstil entscheidend dazu bei, seinen Zugriff auf die Ressourcen der Reichsminister sicherzustellen. Denn ein wesentlicher Unterschied zwischen den Kabinetten Hitler und Göring war, dass letzteres nicht nur auf dem Papier bestand, sondern auch tatsächlich zu regelmäßigen Sitzungen zusammenkam. Damit entkleidete Göring sich bis zu einem gewissen Grad - nicht ohne Risiko, aber im vollen Bewusstsein der realen Machtverhältnisse – des diktatorischen Duktus. Denn so sehr er auch versuchte, seine Macht durch seinen neuen Führungsstil zu sichern, so war dies doch letztlich vor allem ein Eingeständnis dessen, dass er nie über dieselbe Machtfülle verfügen würde wie Hitler, obwohl er dessen Amt geerbt hatte.

An Konkurrenten um die Macht im Reich mangelte es nicht, auch wenn vorerst niemand offen auf seinen Sturz hinarbeitete. Sämtliche Machtkämpfe fanden hinter verschlossenen Türen statt. Interne Auseinandersetzungen hätten nur das Vertrauen der Bevölkerung in die NS-Führung untergraben können. Daran konnte niemandem gelegen sein.

Von den übrigen Granden des NS-Regimes hatten nur wenige eine stark zementierte Machtbasis, die die nötigen Ressourcen zur Verfügung stellen konnte, um Göring ernsthaft gefährlich zu werden. Dort sind in erster Linie zu nennen:

  1. der Stellvertreter des Führers Rudolf Heß, dem die faktische Leitung der Partei und aller angeschlossenen Organisationen und Institutionen oblag, nebst seinem Stabsleiter Martin Bormann, der ihn im tagespolitischen Geschäft mehr und mehr an den Rand drängte,
  2. der Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei Heinrich Himmler, der unter anderem über den ‚Freundeskreis Reichsführer-SS‘ auch enge Kontakte zur Wirtschaft pflegte, nebst seinem Stellvertreter Reinhard Heydrich, dem Chef der Sicherheitspolizei und des SD,
  3. der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda Joseph Goebbels, der mit seinem Ministerium, seinem Propagandaapparat und seiner öffentlichen Sichtbarkeit als ‚Stimme der Regierung‘ großen Einfluss auf die Öffentlichkeit ausübte,
  4. der Reichsminister des Innern und Führer der NSDAP-Reichstagsfraktion Wilhelm Frick,
  5. der Oberbefehlshaber des Heeres, Generaloberst Walther von Brauchitsch,
  6. der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Großadmiral Erich Raeder, nebst dem Führer der U-Boote Karl Dönitz, mit dem er sich wegen der Prioritäten der Flottenrüstung im ständigen, offen ausgetragenen Streit befand.

Viele der anderen Reichsminister spielten nur eine untergeordnete Rolle und waren in Teilen schon seit Jahren nicht mehr von Hitler in wesentliche Entscheidungen einbezogen worden. Ein Teil dieser Minister hatte sich vor allem durch ihre fachliche Qualifikation – in Teilen schon deutlich länger, als Hitler im Amt war – auf ihren Posten halten können. Zu diesem Kreis zählen vor allem Finanzminister Johann Ludwig Graf Schwerin von Krosigk, Justizminister Franz Gürtner, Verkehrsminister Julius Dorpmüller, der Minister ohne Geschäftsbereich Hjalmar Schacht, der Chef der Präsidialkanzlei Otto Meissner und der Chef der Reichskanzlei Hans Heinrich Lammers. Alle diese Minister entsprachen Görings Anforderungen und konnten sich auch unter ihm langfristig auf ihren Posten halten. Die meisten von ihnen hatten vor der Machtergreifung entweder der DNVP nahegestanden oder waren parteilos gewesen. Diese versuchte Göring nun gezielt, in seinen engeren Kreis zu integrieren. Mit den übrigen mächtigen Diadochen focht Göring in den folgenden Monaten und Jahren einen erbitterten Machtkampf aus.

Mit Rudolf Heß und dem Parteiapparat[]

Rudolf Heß

Rudolf Heß, Stellvertreter des Führers

Unter den Konkurrenten war zunächst der Stellvertreter des Rudolf Heß zu nennen, der nach Hitlers Tod angesichts von Görings Desinteresse an der Parteiarbeit, spätestens aber mit der Erklärung des Verteidigungszustands de facto die Führung der NSDAP übernommen hatte. Das Reichsverteidigungsgesetz legte fest, dass der Stellvertreter des Führers "die politische Willensbildung des Deutschen Volkes" zu lenken und sich zu diesem Zweck der NSDAP und der ihr angeschlossenen Organisationen zu bedienen habe. Sein im Sinkflug befindlicher Stern erhielt dadurch noch einmal neuen Auftrieb.

Über den neuen Führungsstil von Hitlers Nachfolger war er in tiefer Sorge und fürchtete, dass der Staatschef nun darangehen werde, seine Pläne zur Verstaatlichung der Bewegung in die Tat umzusetzen. Göring war zwar formal immer noch Parteivorsitzender, setzte persönlich aber wenig Vertrauen in politische Ideologien. Hinter vorgehaltener Hand munkelte man, ihn sagen gehört zu haben, seiner Meinung nach brauche es überhaupt keine Partei. Für Rudolf Heß, der sich bereits unter Hitler als "Puritaner der Bewegung" einen Ruf als spartanischer Minimalist erworben hat, der vor allem auch Prunksucht und Korruption in den eigenen Reihen stets gegeißelt hatte, kam als gewichtiges Argument für seine Opposition hinzu, dass Göring selbst einen königsgleichen Lebensstil pflegte, sich über die Jahre zahlreiche Kunstschätze für seine private Sammlung auf Gut Carinhall und Burg Mauterndorf zusammengerafft hatte und auch sonst Heß' strengem Moralkodex in keiner Weise gerecht werden konnte.

Säuberung der Partei[]

Eine Chance zu einer vorsichtigen Annäherung zwischen Heß und Göring ergab sich durch dessen Beharren auf einer Säuberung der Partei von "anstößigen Elementen". Einen Auftakt zu einer solchen Säuberungskampagne bot der Prozess gegen den fränkischen Gauleiter und 'Stürmer'-Herausgeber Julius Streicher im Frühjahr 1940. Bereits Ende 1938 hatte auf Görings Betreiben eine Untersuchungskommission Streichers Aktivitäten unter die Lupe genommen und war dabei auf ein "Wespennest von Korruption" gestoßen. Neben wilden Arisierungen, deren Gewinne er in die eigene Tasche gewirtschaftet hatte, wurden ihm aggressives Verhalten gegenüber Parteigenossen und sexuelle Nötigung zur Last gelegt. Ein Sündenregister, das selbst der NSDAP zu lang war und das auch Rudolf Heß von der Notwendigkeit überzeugte, gegenüber bestimmten Kreisen hart durchzugreifen. Darunter war freilich keine Säuberungswelle stalinistischer Art zu verstehen, doch bekamen nun einige der radikaleren Protagonisten der unteren Ebenen, die sich durch Willkür, Korruption und Übergriffigkeiten einen Namen gemacht hatten, die harte Hand der Justiz zu spüren. Justizminister Gürtner beförderte dies nur zu gern.

In UZL wurde Streicher im Februar 1940 aus allen Parteiämtern entfernt, durfte aber auf persönliche Intervention Hitlers hin weiterhin Abzeichen und Uniformen tragen und ehrenhalber den Titel eines Gauleiters weiterführen. Auch beließ man ihm auf Druck Hitlers die Herausgeberschaft der Zeitung 'Der Stürmer'. Ohne die Protektion Hitlers hätte das Urteil des Ehrengerichtshofes deutlich härter ausfallen können. Eine Haftstrafe, die Einziehung des Vermögens und sogar ein Betätigungsverbot als Verleger wären im Bereich des Möglichen gewesen. Ein solcher Paukenschlag hätte es Göring erlaubt, auch mit anderen Parteifunktionären hart ins Gericht zu gehen und dies als Teil einer Anti-Korruptions-Strategie auszugeben.

Verstaatlichung der Partei[]

Neben solchen Säuberungsaktionen gehörte zu Görings Agenda auch, die Doppelstrukturen zu beseitigen, die es der Partei erlaubten, eine Parallelgesellschaft aufzubauen, die völlig unabhängig von allen staatlichen Einflussmöglichkeiten existierte. Dabei spielten die Massenorganisationen eine zentrale Rolle. Über Verbände wie die Hitlerjugend, die Berufsvereinigungen oder die Deutsche Arbeitsfront war die NSDAP im Alltag der Menschen omnipräsent und verfügte über nahezu unbegrenzte Ressourcen an Mensch und Material. Die Berufsverbände wurden mit der Zeit den zuständigen Fachministerien unterstellt, die Deutsche Arbeitsfront z.B. wurde als ausführendes Organ dem Arbeitsministerium unsterstellt. Die Reichsleiter der NSDAP wurden als Staatssekretäre in die Ministerien geholt. Solche Konstruktionen waren grundsätzlich auch vorher schon nicht unbekannt, funktionierten bis dahin aber meist umgekehrt. So wurde Heinrich Himmler als Reichsführer SS Staatssekretär im Innenministerium und Baldur von Schirach, der Führer der Hitlerjugend, wurde Staatssekretär im Erziehungsministerium. Solche Verbindungen hatten aber bislang in der Regel eher dazu gedient, den Einfluss der Partei auf den Staat zu stärken, nicht umgekehrt. Mit einer entsprechend ausgerichteten Personalpolitik konnte Göring sich diese Entwicklung aber nun für seine eigenen Zwecke zunutze machen. Rudolf Heß wiederum, der Stellvertreter des Führers, wurde durch seine Ernennung zum 'Parteiminister' (die in UZL in Hitlers politischem Testament von 1945 für Martin Bormann dann schließlich erfolgte) die Schnittstelle zwischen staatlicher Autorität und Parteiorganisation. Auf diesem Wege gelang es Göring, die NSDAP schrittweise zu entkernen, sodass außer den eigentlichen Parteiuntergliederungen nur noch wenige Bereiche übrig blieben, in denen der Staat nicht die unmittelbare Aufsicht übernommen hätte. Dieser Prozess vollzog sich sehr schleichend, sodass weder der breiten Masse der Parteigenossen noch gar der Bevölkerung die Tragweite dieser Umstrukturierung im vollen Umfang bewusst wurde – umso weniger, als sich an der realen Arbeit und dem Auftreten der betroffenen Stellen kaum etwas veränderte.

Martin Bormann und Rudolf Heß

Rudolf Heß mit seinem Stabsleiter Martin Bormann

Hinter Heß war dessen Stabschef Martin Bormann die zentrale Instanz und der Hauptorganisator innerhalb der NSDAP. Er war ein akribischer Verwalter, gründlich, vorausschauend und ohne eigene Ambitionen. Schon seit einigen Jahren drängte er den Stellvertreter des Führers, der mit den Jahren immer stärker schizophrene Züge entwickelte und durch andauernde Kopfschmerzen häufig kaum ansprechbar ist, immer mehr in eine zeremonielle Rolle ab.

Für Göring musste diese Machtkonstellation ideal wirken. Rudolf Heß war zwar ein glühender Verehrer Hitlers und Architekt des Personenkultes um ihn, aber weder ein Machtmensch aus eigenem Antrieb noch eine treibende Kraft der Reichspolitik. Heß konnte sehr wohl über längere Zeit die zeremonielle Rolle des Parteichefs weiterspielen, ohne dadurch zu einer ernsten Gefahr für Göring zu werden. Heß konnte sich vielmehr voll und ganz auf die Pflege von Hitlers Nachruhm konzentrieren. Das entband Göring wiederum bis zu einem gewissen Grad von der Notwendigkeit, dies selbst zu tun. Demgegenüber war Martin Bormann ein hervorragender Organisator, den Göring gut gebrauchen konnte, um einen Fuß in die Partei zu bekommen. Bormann seinerseits, im neu gegründeten Parteiministerium mittlerweile Leiter des Ministerbüros, konnte durch ein Zweckbündnis mit Hitlers Nachfolger seine eigene Macht ausbauen. Mit der Zeit fiel Rudolf Heß jedenfalls mehr und mehr als eigenständiger Fakor aus. Sein sich verschlechternder Geisteszustand gefährdete so mittelfristig diese Machtbalance.

Mit Heinrich Himmler und der SS[]

Heinrich Himmler

Heinrich Himmler, Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei

Görings schärfster Konkurrent war seit jeher Heinrich Himmler, der Reichsführer-SS, der mit der Schutzstaffel nicht nur den paramilitärischen Arm der Partei kontrollierte, sondern zudem seit 1936 auch Chef der Deutschen Polizei war und somit den gesamten Apparat der inneren Sicherheit im Griff hielt. Zudem verfügte er über Zugriff auf die Geheimdienste und ein ausgedehntes Spitzelnetzwerk.

Himmler hatte in den Jahren unter Hitler massiv an Macht gewonnen und dabei unter anderem auch Göring selbst Pfründe gekostet. Bereits 1934 waren die beiden Granden aneinandergeraten, als Göring in seiner Funktion als preußischer Ministerpräsident gegen den Kommandanten des KZ Esterwegen Heinrich Remmert und den Wachmann Fred Paetzold wegen der Misshandlung Gefangener ermitteln ließ. Freilich ging es ihm dabei nicht um deren Wohl, sondern darum, den Machtzuwachs der SS nach dem Röhm-Putsch bestmöglich einzudämmen. Formal war Himmler im Range eines Staatssekretärs dem Innenminister unterstellt, in der Realität agiert der Reichsführer-SS jedoch weitgehend losgelöst von den staatlichen Strukturen des Ministeriums. Unter seinem Stellvertreter Reinhard Heydrich waren die formal eigenständigen Behörden der Sicherheitspolizei (Kripo und Gestapo) und des Sicherheitsdienstes der SS (SD) in Personalunion verbunden.

Sicher hätte Göring Himmler einfach aus allen Ämtern entfernen können. Himmler war seiner esoterischen Neigungen wegen in der SS keineswegs unumstritten. Allerdings hätte er dadurch im schlimmsten Fall eine offene Konfrontation mit der SS herausgefordert und einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen, der auch andere Fraktionen der NS-Führung gegen ihn aufgebracht hätte. Ein so massiver Frontalangriff entsprach darüber hinaus auch nicht Görings Stil. Als alternative Möglichkeit zur offenen Konfrontation blieb ferner eine Verständigung der beiden Granden auf einen für beide Seiten akzeptablen Modus Vivendi. Ein solcher musste allerdings bedeuten, den Konflikt mit der Wehrmachtsführung in Kauf zu nehmen, der das Drängen der SS auf eigene, militärisch ausgerüstete Kräfte Sorgen bereitete, und Himmler weiterhin das Machtmittel eines eigenständigen, nur seiner persönlichen Kontrolle unterliegenden Geheimdienstes zu belassen.

Einsetzung eines Reichskommissars für die Sicherheits- und Nachrichtendienste[]

Stattdessen griff Göring auf eine Taktik zurück, die er auch im Luftfahrtministerium schon erprobt hatte, und zwar Kompetenzbereiche neu zuzuschneiden und Sonderinstanzen zu schaffen, um die Macht bestehender Strukturen zu verringern. Mit solchen Methoden hatte er vor allem die Macht seines Staatssekretärs Erhard Milch beschneiden wollen. Ähnliches ließ sich auch für Himmler bewerkstelligen.

Ohnehin bedurfte es nach dem erfolgreichen Attentat auf Hitler einer neuen Aufsicht für die gescheiterten Geheim- und Sicherheitsdienste, die es nicht vermocht hatten, den Anschlag rechtzeitig aufzudecken und zu verhindern. Als Sicherheitsdienst war hier vor allem der Reichssicherheitsdienst (RSD) zu nennen, dem im Dritten Reich Personenschutzaufgaben für Adolf Hitler und andere hochgestellte Offizielle oblagen und dessen Versagen durch den Tod Hitlers unmittelbar zutage getreten war. Dessen Leiter Johann Rattenhuber wurde daher bereits kurz nach dem Attentat als Bauernopfer unehrenhaft aus dem Polizeidienst entlassen. Unter die Geheimdienste zählten zu dieser Zeit im Dritten Reich der Sicherheitsdienst, der erst 1938 von Innenminister Frick von einer Einrichtung der SS zu einer staatlichen Organisation erhoben worden war, die Abwehr, der militärische Nachrichtendienst, und Görings Forschungsamt. Eine Koordinierung und Verzahnung der Geheimdienste schien auch vor dem Hintergrund einer Erklärung des Verteidigungszustandes und der Ausrichtung der gesamten Politik auf die Reichsverteidigung sinnvoll. Darüber hinaus musste Göring zuallererst selbst ein Interesse daran haben, sicherzustellen, dass keine Instanz mehr in der Lage wäre, die nachrichtendienstlichen Mittel gegen ihn zu wenden. Er wusste schließlich aus erster Hand, welche ungeheure Macht ein privater Geheimdienst seinem Besitzer verleihen konnte. Ein erster logischer - und in der Verwaltungspraxis des NS-Staates nachvollziehbarer - Schritt war also die Einsetzung eines Reichkommissars, dessen Aufsicht die Nachrichten- und Sicherheitsdienste unterstellt wurden.

Eine ähnliche Einrichtung hatte es in den Jahren zwischen 1920 und 1929 schon einmal gegeben. Der Reichskommissar für die Überwachung der öffentlichen Ordnung erfüllte damals die Aufgaben einer freiheitlich-demokratischen Verfassungsschutzbehörde und beobachtete Gegner der Weimarer Republik, unter anderem die KPD und die NSDAP.

Göring-Himmler-Heydrich

Himmler mit seinem Stellvertreter Reinhard Heydrich und Hermann Göring

Görings Staatssekretär Paul Körner oblag ohnehin schon die organisatorische Leitung des Preußischen Staatsministeriums, dem auch das Forschungsamt angegliedert war. Er war für Göring daher die naheliegendste Wahl. Mit seiner Ernennung zum Reichskommissar wurden seine Kompetenzen um die Aufsicht über Sicherheitsdienst und Abwehr erweitert, wobei das Forschungsamt de facto zur koordinierenden Stelle aufstieg. Mit einem solchen Konstrukt löste Göring mehrere Probleme auf einmal: Er beförderte einen loyalen Gefolgsmann, dem er bedingungslos vertrauen konnte und der dazu noch in der Lage war, effektiv zu organisieren und sich schnell auf neue Herausforderungen einzustellen, in den engsten Führungskreis des Reiches, fasste alle Geheimdienste des Reiches in vertrauenswürdigen Händen zusammen und schuf sich so einen neuen, mächtigen Apparat zur Absicherung seiner Position. Er nahm Himmler mit dem SD dessen privaten Geheimdienst aus der Hand und erzwang eine Zweiteilung der Machtbasis seines Stellvertreters Heydrich, der fortan für zwei verschiedene Dienstherren gleichzeitig arbeiten musste: Als Chef der Sicherheitspolizei für Innenminister Frick und Polizeichef Himmler, als Chef des SD für Körner. Einer noch engeren Anbindung der Sicherheitspolizei an die Strukturen von SS und SD war somit vorerst ein Riegel vorgeschoben worden. Zugleich konnte Göring die Gelegenheit auch nutzen, Heydrich noch enger an sich zu binden. Bereits seit einiger Zeit versorgte Göring Himmlers Stellvertreter mit Spezialaufträgen, so z.B. dem Aufbau der ‚Reichszentrale für jüdische Auswanderung‘. Diese Beziehung versuchte er zum beiderseitigen Vorteil noch zu vertiefen, um dem Reichsführer perspektivisch seinen engsten Mitarbeiter abspenstig zu machen. Göring war davon überzeugt, dass Himmler vor allem durch Heydrich groß werden konnte. Bekannt ist sein Ausspruch: „Himmlers Hirn heißt Heydrich“. Den Reichsführer hielt er demgegenüber für „strunzdumm“.

Angesichts des unmittelbar herstellbaren Zusammenhangs zwischen der Neustrukturierung der Sicherheitsbehörden und dem Attentat auf Hitler fehlten Himmler die Argumente, dem nennenswerten Widerstand entgegenzusetzen. Andererseits konnte Göring den grundlegenden Dualismus mit Himmler und der SS dadurch nicht beseitigen, sondern vertiefte den ohnehin bestehenden Graben noch weiter.

Neugestaltung der Sicherheitsarchitektur[]

Werner Best

Werner Best, Hauptkonkurrent Reinhard Heydrichs beim Aufbau des Sicherheitsorgane

Eine Gelegenheit, die Arbeit der Sicherheitsorgane grundlegend neu zu ordnen, lieferte noch im Sommer 1939 die Diskussion um die Etablierung eines 'Reichssicherheitshauptamts'. Bereits im Frühjahr 1939 hatte Walter Schellenberg seine Ausarbeitung für den Aufbau einer entsprechenden Institution Himmler und Heydrich vorgelegt. Schellenbergs Vorschlag, der ganz der Linie seiner Vorgesetzten entsprach, sah die Zusammenlegung von Kripo, Gestapo und SD unter Beibehaltung der personellen Trennung zwischen Sicherheitspolizei und Sicherheitsdienst vor, dazu eine Priorität auf ideologischer Schulung des Personals unter Zurückstellung der beruflichen Qualifikation.

Gegen diese Vorstellungen opponierte nun Heydrichs Stellvertreter, der Gestapo-Vordenker Werner Best. Best war ein versierter Fachmann, der in Organisationsfragen ähnlich dachte wie Feldmarschall Göring und sich von jeder ideologischen Vereinnahmung zu distanzieren wusste, ohne in seiner Arbeit von besonderen Skrupeln geplagt zu sein. Der Konflikt zwischen Best und Heydrich wurde so erbittert geführt, dass Best ihn schließlich sogar durch einen Artikel in einer Fachzeitschrift in die Öffentlichkeit trug. Sein Gegenmodell hätte eine Herauslösung des SD aus den Strukturen der SS bedeutet und damit eine massive Schwächung der eigenständigen Machtbasis Himmlers. Auch sollte das Augenmerk der Best'schen Institution auf der fachlichen und juristischen Ausbildung des Personals liegen, während ideologische Motive für ihn eine untergeordnete Rolle zu spielen hatten. Laien hatten jedenfalls in 'seinem' Polizeidienst nichts zu suchen.

Göring griff schließlich in den laufenden Konflikt ein und entschied, die Kompetenzen der Sicherheitsorgane völlig neu abzugrenzen. Sämtliche Belange der Gegnerermittlung, also die eigentliche nachrichtendienstliche Tätigkeit, sollten aus dem Zuständigkeitsbereich des Innenministeriums und der Sicherheitspolizei ausgegliedert und - ganz im Sinne des ehemaligen Abwehr-Chefs Conrad Patzig - zu einem neuen, einheitlichen Reichsnachrichtendienst zusammengefasst werden. Mit der inhaltlichen und organisatorischen Konzeption und Koordination der Umstrukturierung wurde Werner Best beauftragt, während die Zuständigkeit für den SD bei Heydrich verblieb und Best selbst nach erfolgter Umstrukturierung neuer Chef der Sicherheitspolizei wurde. Best hatte sich bereits in der Vergangenheit dadurch ausgezeichnet, dass er mit dem Abwehrchef Wilhelm Canaris ein Vertragswerk zur klaren und effektiven Kompetenzverteilung zwischen Abwehr, Gestapo und SD ausgearbeitet hatte, die sogenannten „Zehn Gebote der Zusammenarbeit“. De facto bedeutete diese Lösung einen 'Dritten Weg' zwischen Best und Schellenberg, da Göring einerseits Bests Vorstellungen professioneller Polizei- und Geheimdienstarbeit bestätigte, andererseits aber ein Aufgehen des Sicherheitsdienstes in der Sicherheitspolizei verhinderte. Unter Bests Anleitung wurde hingegen die gemeinsame Ausbildung von Sicherheitspolizei und Sicherheitsdienst dennoch aufrechterhalten.

Neben einigen anderen, nebensächlichen Bereichen wurden vor allem die Abwehrpolizei der Gestapo (zu deren Aufgaben die Spionage- und Sabotageabwehr gehörte) und der Sicherheitsdienst aus Himmlers und Heydrichs Machtkonglomerat herausgelöst und nun auch strukturell dem Forschungsamt unterstellt, das damit organisatorischer Rahmen der neuen Behörde wurde. Dadurch entstand ein umfassender, vereinigter Inlands- und Auslandsgeheimdienst, der sowohl zivile als auch militärische Abteilungen umfasste. Ihm wurde nach der Zerschlagung des dortigen Widerstandsnests auch die Abwehr angegliedert, während dem eigentlichen Forschungsamt als Zentralstelle der technischen Überwachung sämtliche kryptologischen Abteilungen anderer Dienststellen (z.B. der Marine, des Heeres und des Auswärtigen Amtes) angegliedert wurden. Das Forschungsamt war damit endgültig zur zentralen und unübergehbaren Anlaufstelle für jede Form der Überwachung, sowohl gegenüber dem Inland als auch gegenüber dem Ausland, geworden. Trotz der Zusammenfassung zum RND blieben Sicherheitsdienst, Forschungsamt und Abwehr innerhalb der neuen Behörde weiterhin organisatorisch erkennbar.

Auch erhielt der RND die alleinige Befugnis, sich inoffizieller Mitarbeiter zu bedienen. Kriminal- und Staatspolizei wurden dadurch zu Bittstellern des Forschungsamtes und hingen in der Folge vollständig am Tropf Görings, der den Nachrichtenoutput seines privaten Geheimdienstes kontrollierte. Ermitteln konnten sie nur noch dort, wo Göring dies zuließ. Darüber hinaus waren sie dem Reichsnachrichtendienst zur Amtshilfe verpflichtet und verfolgen in ihrem Auftrag Personen, über die durch die Überwachung belastendes Material zutage getreten war.

Der neue Reichsnachrichtendienst wurde als Oberbehörde unmittelbar dem aus dem Preußischen Staatsministerium und der Vierjahresplanbehörde unter Paul Körner neu geschaffenen 'Reichsministerium für Angelegenheiten des Reichsverteidigungsrates' unterstellt. Trotz der Zusammenfassung zum RND blieben Sicherheitsdienst, Forschungsamt und Abwehr innerhalb der neuen Behörde weiterhin organisatorisch erkennbar. Die bisherigen Aufgaben des Reichskomissars für die Deutschen Nachrichtendienste gingen auf den neuen Behördenleiter Reinhard Heydrich über, der als 'Chef der Deutschen Nachrichtendienste' im Range eines Staatssekretärs Körner unterstellt wurde und damit Ranggleichheit mit Himmler erreichte. So wollte Göring langfristig einen Keil zwischen beide treiben.

Was Göring in seinen taktischen Plänen allerdings entging, war der Umstand, dass Heydrich keineswegs daran dachte, sich von Himmler loszusagen - zumindest nicht, solange er ihn noch brauchen konnte. Mit seinen Angriffen auf Himmler gab er stattdessen genau dem falschen Mann die richtigen Mittel in die Hände gab, die dieser brauchte, um seine eigenen Ziele voranzutreiben. Heydrich war wie kein Zweiter kaltblütig und fanatisch, das Idealbild des Nationalsozialisten, den Hitler sich erträumt hatte. Sein Fanatismus ging, so hielten sich Gerüchte, sogar so weit, dass er selbst Hitler für zu schwach hielt, das Nötige zu unternehmen, um das Reich im Sinne der Ideologie zum Erblühen zu bringen. Im engsten Bekanntenkreis wurden ihm Ambitionen nachgesagt, eines Tages selbst die Staatsführung zu übernehmen und bis dahin systematisch jede Chance zu ergreifen, die sich ihm bot, die Ausgangslage für einen solchen Versuch zu verbessern.

Um Innenminister Frick, der bei diesem Manöver eine entscheidende Rolle gespielt hatte, für dessen Kooperation zu entlohnen, genügte eine – dem Anschein nach – marginale erläuternde Fußnote zum ‚Erlass über die Einsetzung eines Chefs der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern‘, die klarstellte, dass Himmler innerhalb des Innenministeriums die Aufgabe eines Staatssekretärs wahrzunehmen habe und folglich auch die Oberhoheit über die Deutsche Polizei letztgültig in der Zuständigkeit des Reichsministers verbleibe. Dadurch kehrte sich das bisherige Machtgefälle um, das Himmler de facto dem Zugriff Fricks entzogen hatte. So verfügte ein Erlass Hitlers, dass die Vertretung des Ministers, die Himmler durch den Erlass zustand, ihm abweichend vom Wortlaut nicht nur in dessen Abwesenheit, sondern grundsätzlich zustand, Himmler also selbst als eine Art ‚Gegenminister‘ arbeiten konnte.

Derweil wurden im Schatten dieser Entwicklung auch die SS-Totenkopfverbände, die die Wachmannschaften der Konzentrationslager stellten und seit 1933 auch hilfspolizeilichen Streifendienst leisteten, formal in den Rang einer Polizeibehörde erhoben. Himmler ordnete sie umgehend dem Hauptamt Sicherheitspolizei zu. Dadurch schritt einerseits die Verschmelzung von SS und Polizei weiter voran, andererseits sicherte sich Innenminister Frick dadurch langfristig auch ein Einfallstor zur Kontrolle des Lager(un)wesens.

Mit Joachim von Ribbentrop und dem Außenpolitischen Amt[]

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Außenminister von Ribbentrop und sein britischer Amtskollege Lord Halifax

Neben dem Auswärtigen Amt unter Konstantin von Neurath, das eigentlich für diese Aufgabe zuständig sein sollte, führte Hitler die Außenpolitik des Reiches zu einem guten Teil persönlich. Zusätzlich beauftragte er immer wieder Sondergesandte, die über den Kopf von Außenminister von Neurath hinweg Geheimverhandlungen im Ausland führten. Auch die Partei und die SS betrieben jeweils eine eigenständige Außenpolitik. Das Außenpolitische Amt der NSDAP unter Joachim von Ribbentrop, die Auslandsorganisation der NSDAP unter Ernst Wilhelm Bohle, die SS unter Heinrich Himmler, aber auch Hermann Göring mit seinen Luftfahrtattachés verfolgten in ihren eigenständigen Kontakten ins Ausland ihre je eigenen Ziele. Bei Hitler hatte diese diplomatische Kakophonie Methode und diente seinen Zwecken, indem sie ein weiteres Feld eröffnete, auf dem seine Satrapen untereinander konkurrieren und sich gegenseitig behindern konnten. Dieser Umstand hatte sich durch die Ernennung Ribbentrops zum Außenminister zwar verschoben, aber nicht aufgelöst. Auch unter Göring ging dieses Schattenspiel weiter und verstärkte sich sogar noch einmal. Für Göring war das allerdings katastrophal.

Joachim von Ribbentrop, in früherer Zeit Sekthändler und international vernetzt, war ein Protegé Hitlers und im inneren Kreis der NS-Führung enorm unbeliebt. Er verdankte seine Karriere keiner besondere Qualifikation oder Erfahrung, sondern seinen Verbindungen, die Hitler für sich nutzen wollte. Ribbentrop war wesentlich an den Vorgesprächen zur Machtergreifung 1933 beteiligt gewesen und führte seitdem das Außenpolitische Amt der NSDAP. Als Außenminister sah Ribbentrop sich als neuer Bismarck und wollte freie Hand, um ein gegen England gerichtetes System aus ineinander greifenden Sicherheitsbündnissen in Europa zu schaffen und London so zu isolieren und aus der kontinentalen Politik hinauszudrängen. Diese antibritische Position hatte sich erst in den letzten Jahren entwickelt, dafür aber umso militantere Züge angenommen.

Deutlich zeichnete sich ein Konflikt zwischen Göring, der auf eine Annäherung an das Vereinigte Königreich bedacht war, und Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop ab. Als dieser bei verschiedenen Verhandlungen und Empfängen Äußerungen fallen ließ, die die deutschen Verständigungsbemühungen torpedierten, wurde er von Göring kaltgestellt, indem er auch offizielle Verhandlungen von einem Sondergesandten, seinem langjährigen Freund Philipp von Hessen, führen ließ. Schließlich war die Entlassung Ribbentrops nur noch eine Frage der Zeit. Landgraf Philipp hatte als Schwiegersohn des italienischen Königs Viktor Emanuel III. zudem allerbeste Verbindungen zu Deutschlands wichtigsten Verbündeten.

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Himmler bei Francisco Franco

Ribbentrop konnte allerdings selbst nach seiner Ablösung als Außenminister als Leiter des Außenpolitischen Amtes der Partei weiterhin Einfluss ausüben. Auch Himmler war weiterhin in eigener Mission unterwegs. Parteiapparat und SS verfolgten vielfach eine eigenständige und teilweise zu den staatlichen Stellen konträre Agenda. So kam es bisweilen vor, dass die NSDAP eine Schwesterpartei bei Putschvorbereitungen gegen eine Regierung unterstützte, mit der das Großdeutsche Reich eng verbunden war, z.B. die Pfeilkreuzler in Ungarn, die Ustascha in Kroatien oder die Eisernen Garde in Rumänien. Statt einen Bürgerkrieg innerhalb Deutschlands zu riskieren, verlegten Heß und Himmler sich auf Stellvertreterkriege im Ausland gegen die Reichsregierung und deren neuen Außenminister.

Mit Joseph Goebbels und dem Propaganda-Apparat[]

Joseph Goebbels

Joseph Goebbels, Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda

Ein angespanntes Verhältnis verband Göring auch mit dem Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels. Goebbels gehörte in der Frühzeit der NSDAP zum linken, norddeutschen Flügel um Gregor Strasser und war einer der entschiedensten Befürworter eines "Nationalkommunismus", also gewissermaßen einer "Diktatur des deutschen Proletariats". Eine schwärmerische Romantik brachte er in dieser Zeit Sowjetrussland entgegen. In dieser Phase war er auch ein entschiedener Kritiker Hitlers, dessen wirtschaftsfreundliche Haltung er nicht teilte. Schnell ließ er sich jedoch von Hitlers Auftreten faszinieren und wurde bald zu einem seiner glühendsten Verehrer. Schnell wurde Goebbels das Aushängeschild der Partei und reiste unermüdlich durch das Land, um das Volk für den Führer einzunehmen.

Mit Hermann Göring war Goebbels dabei selten einer Meinung. Außer der Loyalität zu Hitler verband die beiden Paladine wenig. Goebbels, der Einpeitscher, der schnell und radikal zum Angriff blies, Göring der Taktiker, der im Hintergrund zunächst alles in die richtigen Bahnen lenkte. Goebbels ein Emporkömmling aus ärmlichen Verhältnissen, Göring in den feinen Kreisen verwurzelt. Goebbels der Revolutionär, Göring der Konservative. Dennoch fanden sich die beiden Granden immer wieder auch zu Zweckbündnissen zusammen. 1931 versuchten sie gemeinsam gegen Heinrich Himmler vorzugehen, der Goebbels' Dienstwohnung hatte verwanzen lassen ("Dieses hinterlistige Vieh muss verschwinden! Auch Göring stimmt darin mit mir überein."). 1938 orchestrierten sie gemeinsam die Reichskristallnacht, obgleich Göring die systematischen Zerstörungen zu weit gingen. Goebbels gegenüber äußerte er im Anschluss: "Mir wäre es lieber gewesen, ihr hättet 200 Juden erschlagen und hättet nicht solche Werte vernichtet." In den folgenden Jahren wechselten sich Phasen inniger Abneigung und beinahe freundschaftlicher Verbundenheit ab.

1933 machte Hitler Joseph Goebbels zum Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda. In dieser Funktion übernahm er die vollständige Kontrolle über das gesamte Pressewesen des Reiches. Er kontrollierte, welche Nachrichten gedruckt wurden, und welche Version der Geschehnisse berichtet werden sollte. Er instruierte die inländische Presse durch regelmäßige Rundschreiben und fütterte die ausländische Presse in einer Pressekonferenz mit ausgewählten Meldungen. Besonders energisch machte Goebbels sich an den Ausbau der neuen Massenmedien, des Radios und des Kinos. Unter seiner Anleitung wurde jeder Haushalt mit einem Radiogerät versorgt, um den Großdeutschen Rundfunk, das offizielle Programm des Propagandaministeriums, empfangen zu können und immer aktuell informiert zu sein. Die Filmstudios in Babelsberg produzierten im Akkord Propagandafilme und -dokumentationen. Hier fand Goebbels, wie er meinte, seine wahre Berufung.

Der Bock von Babelsberg[]

Diese Berufung galt aber vor allem dem weiblichen Geschlecht. In eingeweihten Keisen war er bald als "Bock von Babelsberg" verschrien. Der Propagandaminister war für seine Affären berüchtigt. Dutzenden Schauspielerinnen soll er nachgestiegen sein. Seine Frau Magda versuchte lange, die sexuellen Ausschweifungen ihres Ehemannes zu dulden. Familie Goebbels war in der Propaganda zum Aushängeschild des Dritten Reiches stilisiert worden. Magda füllte, da Hitler selbst nicht verheiratet war, die Rolle einer "First Lady" des Reiches aus. Eine offene Ehekrise wäre also propagandistisch eine Katastrophe gewesen.

1937 Lida Baarova im Film Patrioten gemeinfrei opt

Lida Baarová, Geliebte des Propagandaministers Joseph Goebbels

Als Goebbels jedoch eine Affäre mit der tschechischen Schauspielerin Lida Baarová begann, eskalierte die Situation. Nachdem Goebbels seine Frau zur Führung einer Dreiecksbeziehung aufgefordert hatte, war diese auf Hitler zugekommen, mit dem sie eine innige persönliche Freundschaft verband. Goebbels plante da bereits das Ende seiner politischen Karriere und bat Magda Goebbels um die Scheidung. Magda Goebbels nahm diese Entwicklung mit Wut zur Kenntnis und revanchierte sich ihrerseits mit einem Verhältnis mit Karl Hanke, dem Staatssekretär ihres Ehemanns. Göring war es, der auf Hitlers Anweisung schließlich Baarovas Telefon überwachte und die Liebesbezeugungen des Propagandaministers mitschnitt. Hitler geriet in Rage und verlangte ultimativ das Ende der Affäre. Goebbels knickte erst nach fortgesetzten Schimpftiraden des Führers ein und trennte sich in einem von Göring kontrollierten Telefonat von ihr. Lida Baarova kehrte derweil nach Prag zurück, nachdem sie im Großdeutschen Reich Opfer einer Hetz- und Boykottkampagne geworden war. Es sollte Magda Goebbels allein obliegen, bis Ende 1939 zu entscheiden, ob sie die Ehe fortsetzen oder die Scheidung verlangen wolle. Goebbels seinerseits suchte sich in den folgenden Monaten genau den Mann als Seelentröster aus, der ihn durch seine Telefonüberwachung ans Messer geliefert hatte: Hermann Göring.

Nach dem Tod Hitlers hatte Göring nun die Chance, Goebbels durch eine neuerliche Tändelei ins Abseits zu drängen. Goebbels war nach dem Tod Hitlers in eine tiefe Depression verfallen. Schließlich hatte er sich wie kaum ein Zweiter von Wohl und Wehe des Diktators abhängig gemacht. Dass er sich mit neuen Frauengeschichten über diesen Verlust hinwegtröstete, kam daher kaum überraschend.

Rosenkrieg in der Musterfamilie[]

Familie Goebbels

Trügerisches Idyll: Joseph und Magda Goebbels mit ihren Kindern Hildegard, Helmut und Helga (v.l.n.r.), 1937

Magda Goebbels machte ihrerseits im Winter 1939 schließlich, auch angestachelt von Emmy Göring, von der Möglichkeit zur Scheidung Gebrauch. Das Verhältnis zwischen den beiden hohen Damen war schon lange ambivalent. Einerseits unterhielten sie oberflächlich eine enge Freundschaft, im Hintergrund konkurrierten sie aber unentwegt um die prestigeträchtige Position einer "First Lady" des Reiches, da Hitler selbst unverheiratet war. Emmy bot sich hier also die einmalige Gelegenheit, der Rivalin zu schaden, zugleich aber auch die gute Freundin zu mimen. Über ihren Ehemann und ihre Kontakte in die Schauspielgesellschaft sorgte sie dafür, dass der Sex-Skandal in den ausländischen Medien zum Top-Thema und sich in der gesamten westlichen Welt das Maul über den Propagandaminister und seine Lüsternheit zerrissen wurde. Im selben Moment gab sie sich als verständnisvolle Zuhörerin und riet Magda zur Scheidung. Der Propagandaminister, von dieser Schmutzkampagne und dem öffentlich ausgetragenen Scheidungskrieg mit Magda gekränkt und erschüttert, bat Göring daraufhin im Winter 1940 um seine Entlassung. Göring gab sich in dieser Lage erneut als verständnisvoller Freund und erfüllte Goebbels seinen Wunsch, ihn als Konsul nach Tokio zu schicken, was ihn zudem vor einer Gefängnisstrafe wegen schuldhafter Scheidung bewahrte. Mit der Ausschaltung von Joseph Goebbels konnte Göring den entscheidenden Meinungsmacher aus dem Verkehr ziehen, der ihm irgendwann einmal hätte gefährlich werden können.

Gavriel Rosenfeld sieht Goebbels in einer Zeit nach dem Tode Hitlers zu einem der führenden Köpfe der radikalen Fraktion aufsteigen, die schließlich in einem 'Putsch von Oben' von Göring und den Militärs beseitigt werden, nachdem sie zuvor deren Friedensbemühungen gegenüber den Westmächten sabotiert haben. Eine solche Rolle wäre Goebbels grundsätzlich zuzutrauen. Abhängig wäre dieser alternative Verlauf aber davon gewesen, dass die Ehe mit Magda sich (trotz einer doch relativ wahrscheinlichen Einmischung der Eheleute Göring) hätte retten lassen.

Aufspaltung des Propagandaministeriums[]

Werner Naumann

Werner Naumann, persönlicher Referent von Joseph Goebbels und als dessen Nachfolger gehandelt

Dies eröffnete für Göring die Möglichkeit, den Propaganda-Apparat durch die Besetzung des frei werdenden Ministerpostens unter seine eigene Kontrolle zu bringen. Ein möglicher Nachfolger war schon in Sicht: Goebbels selbst war, seit er ihn als seinen persönlichen Referenten nach Berlin geholt hatte, von Werner Naumann begeistert, dem in den folgenden Jahren auch andere NS-Funktionäre immer wieder bescheinigten, einer der wenigen intelligenten Köpfe neben dem Minister zu sein. Goebbels ist es auch, der Naumann als seinen Nachfolger empfahl.

In Hitlers 'politischem Testament' vom April 1945 wurde Naumann als Propagandaminister eingesetzt. Naumann spielte dann zwar als Minister keine bedeutende Rolle mehr, erwies sich aber als geschickter Taktiker bei dem Versuch eines Netzwerks von NS-Funktionären, nach dem Kriegsende die Parteien der Bundesrepublik zu unterwandern und einen 'reformierten Nationalen Sozialismus' wieder hoffähig zu machen. Eine grundlegende Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an veränderte Umstände mag man Naumann - der besonders in der Endphase des Zweiten Weltkriegs als noch fanatischer beschrieben wurde als sein Minister - also zugestehen.

Unter den gegebenen Umständen im Sommer und Herbst 1939 auch für Göring nicht infrage kam der bisherige leitende Staatssekretär des Propagandaministeriums, Karl Hanke. Seine Affäre mit der Ehefrau seines Vorgesetzten hatte ihn moralisch disqualifiziert, umso mehr, als Göring den Eindruck zerstreuen wollte, selbst in die Ehekrise der Goebbels' involviert gewesen zu sein.

Otto Dietrich

Otto Dietrich, seit 1938 Pressesprecher der Reichsregierung und Staatssekretär im Propagandaministerium

Auch Otto Dietrich spielte in Görings Ränkespielen eine bedeutende Rolle. Diesen hatte er 1931 als stellvertretenden Chefredakteur zur von ihm in Essen herausgegebenen 'National-Zeitung' geholt. Im Folgejahr wurde er als 'Reichspressechef' Reichsleiter der NSDAP. Seit 1938 war er Pressesprecher der Reichsregierung und Staatssekretär im Propagandaministerium, wo er einen erbitterten Konkurrenzkampf mit Minister Goebbels austrug. Auf der Parteiebene waren Dietrich und Goebbels als Reichsleiter gleichgestellt, als Staatssekretär im Ministerium war er seinem Konkurrenten untergeordnet. Zeitweilig betrieb Dietrich die Gründung eines eigenständigen 'Reichspresseministeriums'. Auch hier hatte Göring also die Möglichkeit, eine bereits laufende Auseinandersetzung zu beenden und die weitere Entwicklung in die von ihm gewünschte Richtung zu lenken. Politisch hatte Dietrich vor seinem NSDAP-Beitritt 1929 den Deutschnationalen nahegestanden und war, anders als Goebbels, in der bürgerlichen Presselandschaft anerkannt. Allerdings fehlt Dietrich die Gerissenheit und Eloquenz eines Werner Naumann, sodass mit großen, die Massen bewegenden Reden von seiner Seite nicht zu rechnen war, was eine gewisse Anonymisierung der NS-Herrschaft zur Folge hatte.

Im Ergebnis entschied Göring, auch hier die Kompetenzen aufzuteilen und Propaganda und Presse in zwei unabhängigen Ministerien unterzubringen. Dabei verblieb nur ein kleiner Teil der ursprünglichen Aufgaben beim Goebbels-Ministerium. Naumann war nurmehr für die Produktion von Nachrichten zuständig, Dietrich für deren Lenkung und Verbreitung. Auch die Zensurabteilung und die Betreuung der ausländischen Presse wanderten in Dietrichs Zuständigkeit.

Mit Wilhelm Frick und der Reichstagsfraktion[]

Wilhelm Frick

Wilhelm Frick, Reichsinnenminister und Chef der NSDAP-Reichstagsfraktion

Entscheidend für die Sicherung von Görings Machtposition war es, einen Ausgleich mit Reichsinnenminister Wilhelm Frick herzustellen, der neben seinem Posten als Innenminister auch Führer der Reichstagsfraktion war und damit ein nicht unerhebliches Macht- und Druckmittel an der Hand hatte. Eine regelrechte 'Hausmacht', wie sie Heß oder Himmler besaßen, war die Reichstagsfraktion freilich nicht.

Frick war ein versierter Verwalter, der die etablierten Strukturen des Reiches maßgeblich mitgeprägt und mitgestaltet hatte. Obgleich beide sich über die Reichsreform im Streit befunden hatten, gab es doch gemeinsame Anknüpfungspunkte. Dies war zuallererst das Bemühen um eine gut geschulte Beamtenschaft und eine klar strukturierte Verwaltung, die effektiv funktionierte. Hinzu trat das gemeinschaftliche Bemühen um eine Eindämmung Himmlers und der SS. Wilhelm Frick hatte in den zurückliegenden Jahren stark an Einfluss verloren. Viele Kompetenzen des Innenministeriums waren mit der Zeit in eigenständige Ministerien ausgelagert worden. Frick befand sich auf dem absteigenden Ast.

Eine Aufwertung Fricks durch die Ernennung zum ‚Generalbevollmächtigten für die Reichsverwaltung‘, wie er im Reichsverteidigungsgesetz vorgesehen war, stabilisierte einerseits seine Stellung im NS-Machtapparat und sorgte andererseits dafür, dass er sich Göring gegenüber erkenntlich zeigte. Mit Frick holte Göring sich so einen fähigen und unverzichtbaren Verwalter ins Boot, der wusste, wie ein Staat zu machen war. Eine Fortsetzung der Hitler'schen Polykratie konnte Göring sich nämlich auf Dauer nicht leisten.

Abschaffung der Länder und Bildung der Reichsgaue[]

Großdeutsches Reich politisch

Abgesang auf eine vergangene Epoche: Diese Karte aus dem Sommer 1939 zeigt das Großdeutsche Reich mit seinen (nur noch auf dem Papier existierenden) Ländern.

Das größte Projekt, das in den folgenden Monaten maßgeblich von Innenminister Frick vorangebracht wurde, war eine umfassende Neuordnung der unter Hitler absichtlich chaotisch gehaltenen Verwaltung im Reichsgebiet. Mit den am 14. April 1939 beschlossenen und am 1. Mai in Kraft getretenen Gesetzen über die Verwaltung der Ostmark (Österreich) und des Sudetenlandes waren erstmalig sogenannte Reichsgaue als neue staatliche Mittelbehörden und Selbstverwaltungskörperschaften gebildet worden. Hitler hatte - vor allem angesichts des Widerstands vonseiten des preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring, der sogar mit seinem Rücktritt gedroht hatte - noch gezögert, dieses neue Verwaltungsmodell direkt auch im "Altreich" einzuführen und die Länder endgültig abzuschaffen. Frick war der entschiedenste Verfechter einer Neugliederung des Reiches in Reichsgaue, wie sie außerhalb des Altreiches bereits per Gesetz geschaffen worden waren. Auch viele andere Protagonisten des Regimes sympathisierten mit diesem Vorhaben.

Für Göring war ein Verzicht auf seine wichtigste Bastion zu diesem Zeitpunkt nicht verhandelbar. Nicht zuletzt, weil er sich in Preußen auf einen intakten und effektiven Beamtenapparat verlassen konnte, der ihm zuarbeitete. Im Preußischen Staatsministerium, seiner Schaltzentrale, war unter anderem das Forschungsamt angesiedelt. Alle Aktivitäten liefen dort bei Staatssekretär Paul Körner und Amtsleiter Erich Gritzbach zusammen. Auf diesen Apparat konnte und wollte Göring nicht verzichten. Mit seinem Aufstieg zum Führer und Reichskanzler hatten sich allerdings die Voraussetzungen für eine Fortsetzung der Reichsreform massiv verschoben. Er war nun nicht mehr davon abhängig, seinen Posten als preußischer Landeschef zu behaupten. Inhaltlich schwebte Göring - anders als Frick, der mit den Reichsgauen einen Verwaltungskörper völlig neuen Typs schaffen wollte - eine Übertragung des preußischen Verwaltungsmodells auf das gesamte Reich vor, sozusagen eine "Verpreußung". Die übrigen Länder sollten auf den Status preußischer Provinzen herabsinken und Göring alleiniger Chef aller Landesverwaltungen werden. Dafür bot sich nun die Möglichkeit.

In dieser Frage kam es zwingend darauf an, ein Einvernehmen mit der Reichsregierung und dem Reichstag, dabei vor allem Innenminister Wilhelm Frick, zu erreichen. Daher musste Göring sich letztlich darauf einlassen, die Länder zugunsten neuer Reichsgaue aufzulösen. Den Titel des Preußischen Ministerpräsidenten, auf den Göring besonders stolz war, behielt er allerdings in abgewandelter Form als "Reichsministerpräsident" bei und integrierte ihn in seine ohnehin schon majestätische Titulatur.

Reichsgaue 1963

Verwaltungsgliederung des Großdeutschen Reiches nach der Auflösung der Länder, in Schraffur dargestellt ist das Protektorat Böhmen und Mähren

Mit einem "Gesetz über den Aufbau der Verwaltung im Großdeutschen Reich" ("Reichsverwaltungsgesetz"), das in seinen Bestimmungen großteils identisch mit den zuvor beschlossenen Gesetzen für Österreich und das Sudetenland war, wurde schließlich die rechtliche Grundlage für die Reichsreform geschaffen. Die Reichsregierung konnte dieses Gesetz ohne Zustimmung des Reichstages beschließen, da ihr durch das Gesetz über den Neuaufbau des Reiches, das nach wie vor in Kraft war, die Möglichkeit zur Verfassungsänderung geblieben war ("Die Reichsregierung kann neues Verfassungsrecht setzen."). Durch das Gesetz wurden neue Reichsgaue geschaffen, die in ihrem Gebietsstand mit den Parteigauen der NSDAP identisch waren. Trotz einiger Startschwierigkeiten (so wurde vielfach um den Neuzuschnitt der Gaugrenzen oder die Besetzung einzelner Posten gestritten) hatte das Reich doch schon kurze Zeit nach der Amtsübernahme Görings wieder eine einheitliche - und vor allem effektiv arbeitende - Verwaltung die die Konkurrenz verschiedener Instanzen bereinigte und die Einhegung der Partei in staatliche Strukturen durch die Angleichung der Reichsverwaltung an die Struktur der NSDAP und die mit der fortschreitender Zeit obligatorisch entstehende Personalunion zwischen Gauhauptmann des Reichsgaus und Gauleiter des Parteigaus unterhalb eines von Göring ernannten und nur ihm persönlich verpflichteten Reichsstatthalters noch zusätzlich beförderte. Die Reichsstatthalter rekrutierte Göring dabei bewusst nicht aus dem Personalpool der NSDAP, sondern aus den Länderverwaltungen. In Norddeutschland waren das in erster Linie die Oberpräsidenten der preußischen Provinzen, vergleichbare Verwaltungseinheiten gab es aber auch in vielen anderen Ländern. So werden die Reichsstatthalter ein Instrument, um die Gauleiter der Partei einzuhegen und zu kontrollieren.

Schaffung des Reichssenats[]

Göring ließ sich dieses Zugeständnis, die Auflösung des Landes Preußen, aber teuer bezahlen. So drängte er darauf, das Konzept des Preußischen Staatsrates - eines Gremiums, in das er nach eigenem Gusto verdiente Weggefährten und Honoratioren berufen konnte - auf die Reichsebene zu verlagern. Göring wollte jedenfalls auf dieses bewährte Instrument zur Verbreiterung seiner Machtbasis nicht verzichten.

Im Herbst legte das Innenministerium einen Gesetzentwurf für die Schaffung eines "Reichssenats" vor, der auch die Führerwahl regeln sollte. Innenminister Frick schwebte dabei eine Besetzung vor, die der NSDAP und ihren angeschlossenen Organisationen keine eigenständige Mehrheit zugestand. Stattdessen sollten hohe Staatsbeamte, ständische Berufsvertretungen, Kirchen und Universitäten, also Vertreter eines klassischen staatlichen Ordnungsprinzips, dort dominieren. Eine Parteimitgliedschaft war gemäß diesem Entwurf keine Voraussetzung für die Wählbarkeit als "Führer des Deutschen Volkes". Vielmehr sollte "der Beste aller Deutschen" gekürt werden. Außerdem sah der Entwurf eine Vereidigung der gesamten Partei auf die Person des neuen Führers vor, ein ungeheurer Vorgang, legt man Hitlers Verständnis der Beziehung der Partei zum Staat zugrunde. Zum 30. Januar 1943, dem Jahrestag der Machtergreifung, trat das Gesetz nach langer Vorbereitung schließlich in Kraft.

Schaffung des Reichsministeriums für Angelegenheiten des Reichsverteidigungsrates[]

Mit der Auflösung des Landes Preußen war das Preußische Staatsministerium - und mit ihm das Forschungsamt - quasi "herrenlos" geworden. Dessen leitender Staatssekretär Paul Körner war ebenfalls für die Vierjahresplanbehörde und für die Koordination der Geheimdienste zuständig. Beide Bereiche waren aufs Engste mit der Reichsverteidigung und der Tätigkeit des Reichsverteidigungsrates und des operativen Reichsverteidigungsausschusses verbunden. Alle diese Bereiche bedurften angesichts der nach wie vor pekören politischen wie wirtschaftlichen Situation einer einheitlichen Leitung.

Daher bildete Göring aus den Resten der Preußischen Landesverwaltung und der Vierjahresplanbehörde im Frühjahr 1940 ein neues 'Reichsministerium für die Angelegenheiten des Reichsverteidigungsrates', dessen Minister Körner nun wurde. Zugleich ernannte Göring ihn in diesem Amt zum 'Generalbevollmächtigten für die Wirtschaft', wie er im Reichsverteidigungsgesetz vorgesehen war. Ebenso wie der 'Generalbevollmächigte für die Reichsverwaltung' Wilhelm Frick war auch Körner dadurch mit einem eigenständigen Notverordnungsrecht ausgestattet. Das Ministerium wurde außerdem das zentrale Steuerungsorgan für den im laufenden Verteidigungszustand als 'Notfallkabinett' arbeitenden Reichsverteidigungsrat nebst Reichsverteidigungsausschuss. Hinzu kam der von Reinhard Heydrich geführte Reichsnachrichtendienst, sodass nun alle zentralen Hebel und Koordinationswerkzeuge, auf die Göring zugreifen musste (mit Ausnahme der Luftwaffe) in einer einzelnen, straff organisierten Superbehörde unter vertrauenswürdiger Leitung zu seiner unmittelbaren Verfügung zusammengefasst waren.

Bildung der Generalkanzlei[]

Ein weiteres zentrales Anliegen Fricks war die Verschlankung der durch diverse Sonderbeauftragte, Reichskommissare und Amtsneuschöpfungen aufgeblähten Ministerialebene des Reiches. Waren zu Beginn der Regierung Hitler im Januar 1933 noch 13 Minister vereidigt worden, wuchs ihre Zahl bis 1939 auf 25 an. Auch die Zahl der Kanzleien, die dem Führer zuarbeiteten, wurde immer größer. Neben der "Kanzlei des Führers" in der NSDAP unter Philipp Bouhler bestanden als staatliche Institutionen die Reichskanzlei unter Hans Heinrich Lammers und die Präsidialkanzlei unter Otto Meissner. Sowohl Bouhler als auch Meissner hatten bereits zuvor Hitler gegenüber auf die Sinnlosigkeit einer solchen Konstruktion hingewiesen und angeboten, ihre jeweiligen Dienststellen aufzulösen. Hitler hatte dies in beiden Fällen abgelehnt, da ihm der Wille zu einer grundlegenden Strukturreform fehlte. Göring, der sich auf eine gut funktionierende zentrale Instanz verlassen können musste, konnte hier reinen Tisch machen und alle drei Stellen zu einer neuen 'Generalkanzlei' vereinigen.

Die Reichstagsfraktion zwischen Kommunikation und Opposition[]

Reichstag Krolloper

Sitzungssaal des Großdeutschen Reichstags in der Krolloper

Ein Problem belastete die Regierungsarbeit Görings nachhaltig: Das Auslaufen des Ermächtigungsgesetzes durch den Tod des Führers und deren Folge, dass "die gegenwärtige Reichsregierung durch eine andere abgelöst" wurde. Dadurch war die Reichsregierung pro forma wieder auf das reguläre Gesetzgebungsverfahren durch den Reichstag zurückgeworfen, was nicht nur die Zeit bis zum Beschluss eines Gesetzentwurfs massiv verlängerte, sondern auch erstmalig Kompromisse zwischen Reichsregierung und NSDAP-Reichstagsfraktion notwendig machte, deren Chef Wilhelm Frick war. Das Ermächtigungsgesetz nicht erneut beschließen zu lassen, entsprang politischem Kalkül. Die Reichstagsabgeordneten haben mehrheitlich kein Interesse daran, einem so linienfernen Protagonisten wie Göring ein solches Machtmittel einfach an die Hand zu geben.

Göring hatte prinzipiell durch das Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten nach wie vor die Möglichkeit, per "Führererlass" zu regieren. In den ersten Monaten nach dem Amtsantritt Görings funktionierte dieses Instrument auch noch relativ zuverlässig, doch mit der Zeit wurden die entstehenden Lager im Reichstag immer selbstbewusster. Der Reichstag als Organ gewann vor allem dadurch Selbstbewusstsein zurück, dass es ihm gelang, zu einem wirklichen Forum des Austausches und der Verhandlungen zwischen den verschiedenen Interessengruppen innerhalb der NSDAP zu werden. Auf Dauer konnte Göring die Interessen der Partei schwerlich ignorieren. So wurde der Reichstag zum zentralen Forum der Kommunikation mit dem amtierenden Staatsoberhaupt, in dem jede Interessengruppe ihre Forderungen ohne den Umweg über die Ministerialbürokratie artikulieren konnte. Auf zu großen Druck vonseiten der Reichstagfraktion konnte Göring dann allerdings auch jederzeit mit einem Auflösungsdekret reagieren. Der politische Austausch war also in Gänze von seinem Wohlwollen gegenüber dem Verfahren abhängig, nicht von den rechtlichen Rahmenbedingungen.

Zugleich zeigten sich mit fortschreitender Amtsdauer Görings Risse im vermeintlich monolithischen Gefüge der Partei. In der Vergangenheit hatten sich zahlreiche Flügel zu allen Seiten des politischen Spektrums gebildet, die selbst Hitler nur mit Zwang und Gewalt unter Kontrolle bekommen hatte. Der faktische Parteiführer Rudolf Heß wirkte in Abwesenheit Hitlers orientierungslos und ließ die Zügel schleifen, sodass die ideologische Geschlossenheit der Partei auch intern zunehmend zu bröckeln begann. Die NSDAP war keineswegs ein ideologisch geschlossenes System. Während sich um Alfred Rosenberg und Heinrich Himmler ein völkisch-expansionistischer Flügel bildete, entstand um Joseph Goebbels ein national-kommunistischer, linker Flügel. Dazwischen sammelte Göring einen national-konservativen Block um sich, zu dem u.a. Innenminister Frick, Justizminister Gürtner, Wirtschaftsminister Funk, Finanzminister Lutz von Krosigk, Ex-Wirtschaftsminister Schacht und Ex-Außenminister von Neurath gehören. Daher konnte in den späteren Jahren kaum mehr von einer zusammenhängenden Ideologie des Nationalsozialismus gesprochen werden. Dem Reichsmarschall hingegen nützten diese dogmatischen Differenzen, da er so mehr und mehr in die Lage versetzt wurde, verschiedene Strömungen und Fraktionen innerhalb der NSDAP gegeneinander auszuspielen.

Mit der Wehrmachtsführung[]

Milch-Keitel-von Brauchitsch-Raeder

Die Chefs der Oberkommandos der Teilstreitkräfte und der Wehrmacht

Gegenüber der Wehrmacht als einer der wenigen Kräfte, die Göring zweifellos gefährlich werden konnten, bedurfte es einer vorsichtigen Strategie. Wesentlich war dabei, sich einerseits den Respekt der Generalität und Admiralität zu erarbeiten, andererseits aber auch, die eigene Position als Oberster Befehlshaber der gesamten Wehrmacht - zusätzlich zu seiner eigenen Teilstreitkraft, der Luftwaffe - konsequent durchzusetzen. Ein erster sichtbarer Schritt war, dass Göring per Erlass verfügt, dass er fortan in allen Zusammenhängen mit seinem militärischen Rang anzusprechen sei. Um diesen noch weiter herauszustellen, schafft er für sich selbst den neuen Rang eines 'Reichsmarschalls des Großdeutschen Reiches'. Zeitgleich befördert er den Oberbefehlshaber des Heeres, Walther von Brauchitsch, zum Generalfeldmarschall, ebenso wie seinen Stellvertreter in der Luftwaffe Erhard Milch. Außerdem schuf Göring eigenständige Ministerien für das Heer und die Marine, sodass Walther von Brauchitsch und Erich Raeder als Reichsminister Kabinettsmitglieder wurden.

Vergleichbare Ministerien für die einzelnen Teilstreitkräfte bestanden auch in anderen Ländern, z.B. in Italien oder Japan. Eine solche Einrichtung wäre also kein Anachronismus gewesen.

Wider das Vabanquespiel[]

Wehrmacht Parade

Eine Frage der Ehre: Die Aufrüstung der Wehrmacht sollte Deutschland endgültig zur ebenbürtigen Weltmacht werden lassen

An diese Umstrukturierung anknüpfend ergaben sich weitere Anknüpfungspunkte, vor allem in Fragen der militärischen Ausrichtung der Außenpolitik und in Fragen des Umgangs mit der SS, die bereits seit einiger Zeit mit ihren Verfügungstruppen den Versuch unternahm, protegiert von Hitler eigene bewaffnete Verbände als Gegenkraft zu den regulären Streitkräften aufzubauen. Göring konnte durch eine konsequente Linie gegen Himmler und die SS an Boden gewinnen, indem er der Wehrmachtsführung das unbedingte Monopol auf die Landesverteidigung zusicherte und einen weiteren Ausbau der SS-Verfügungstruppe untersagte. Er präsentierte sich hier also als das "geringere Übel". Auch innenpolitisch unterstützte die Wehrmachtsführung Görings 'gemäßigte Fraktion', da ihr sowohl der aggressive Expansionismus der rechten als auch der Sozialismus der linken Opposition zuwider waren.

Mit den Mitteln, mit denen Großdeutschland sich im Zuge der Aufrüstungsbemühungen bis 1939 versorgt hatte, war ein erneuter Weltkrieg nicht langfristig zu führen. An die unweigerliche Vorbedingung dafür, nämlich einen Erfolg der Blitzkrieg-Strategie, mochte in der Generalität allerdings niemand recht glauben. Wie schon vor dem Ersten basierten auch vor dem Zweiten Weltkrieg die Militärdoktrinen der beteiligten Mächte auf den Erfahrungen des vorherigen Krieges, die längst überholt waren. Vor dem Ersten Weltkrieg rechnete man mit offenen Feldschlachten und einer tragenden Rolle der Kavallerie, nicht mit Grabenkämpfen und Luftschlachten. Vor dem Zweiten Weltkrieg rechnete man dann mit endlosen Grabenkämpfen, die Deutschland - einer erneuten Seeblockade der Westmächte ohne ebenbürtige Flotte hilflos ausgeliefert - nur hätte verlieren können. Das wollte man um (fast) jeden Preis verhindern. Mit seiner auf Ausgleich mit den Westmächten angelegten Außenpolitik präsentierte Göring sich gegenüber der Wehrmachtsführung also als Gegenbild zum skrupellosen und kriegslüsternen Hitler. Zugleich teilte Göring mit der Generalität ein grundlegendes Bekenntnis zur Aufrüstung und zum Streben nach Gleichrangigkeit mit den übrigen Weltmächten.

Streit um die Ausrichtung der Flottenrüstung[]

Göring und Raeder

Görings Verhältnis zur übrigen Militärführung (hier im Gespräch mit Generaladmiral Erich Raeder) war unterkühlt

Die beiderseitige Abneigung, die Göring mit Großadmiral Erich Raeder verband, führte bald zu einem direkten Konflikt mit der Marineführung. Das Heer unter Walther von Brauchitsch ergriff in dieser Situation keine Partei, zumal die hohe Priorität, den die Flottenrüstung seit dem Frühjahr 1939 noch unter Hitler genossen hatte, wertvolle Ressourcen band, die das Heer meinte, besser nutzen zu können. Gerade Raeders Konzeption schwerer Überwassereinheiten, getragen von Schlachtschiffen und Zerstörern, musste vielen überdimensioniert erscheinen. Auch in diesem Konflikt bot sich Göring die Möglichkeit, seinen Konkurrenten von innen her zu schwächen. Der Befehlshaber der U-Boote, Karl Dönitz, hatte bereits seit Jahren immer wieder in Denkschriften, die sich in offener Opposition zu Raeders Rüstungsplan befanden, eine Fokussierung auf eine bewegliche Kreuzerflotte und U-Boote gefordert, war damit aber bei Hitler bislang auf taube Ohren gestoßen. Hier bestand also sehr kurzfristig die Möglichkeit, Raeder zum Rücktritt zu drängen und Dönitz als seinen Nachfolger zu installieren.

Auch in UZL setzte sich Dönitz nach Kriegsausbruch mit seinem Alternativkonzept gegenüber Raeder durch. Einerseits machte die Rohstoffknappheit durch den Kriegsausbruch die Fertigstellung der meisten schweren Überwassereinheiten unmöglich, andererseits führten Misserfolge der Schlachtschiffe und Erfolge der wenigen U-Boote bei Hitler zu einem Umdenken.

Auflösung der Abwehr[]

Ein weiterer Bereich, in dem Göring und das Militär notwendigerweise aneinandergeraten mussten, war der Umgang mit der militärischen Abwehr, die dem Oberkommando der Wehrmacht unterstand. Deren Leiter Wilhelm Canaris war aufs Engste in die Staatsstreichpläne vom September 1938 verstrickt, ebenso wie eine Reihe seiner engsten Mitarbeiter. Reinhard Heydrich betrachtete ihn als Intimfeind, während Werner Best gute Beziehungen zu ihm und zur Abwehr insgesamt unterhielt und sehr darum bemüht war, die Kompetenzverteilung zwischen Militär und Gestapo möglichst einvernehmlich und lückenlos zu regeln. Nach dem Attentat vom 20. April 1939 wurde die Abwehr aufgelöst und ihre Unterabteilungen dem neuen Reichsnachrichtendienst eingegliedert. Dabei spielt auch eine Rolle, dass sich Canaris' eigener Vorgänger, Admiral Conrad Patzig, seinerseits entschieden für eine solche Zusammenlegung ausgesprochen hatte, darin aber 1935 von Heydrich blockiert worden war, der einen Kontrollverlust der SS über die Auslandsspionage fürchtete.

Schicksalsjahr 1943 - Eskalation des Machtkampfs[]

Die Diadochenkämpfe im Reich, der wirtschaftliche Zusammenbruch und der Umbau des Staates nach Görings Vorstellungen, all das lief - teils planvoll, teils zufällig - auf das Jahr 1943 zu. Am 30. Januar jährte sich zum zehnten Mal der Tag der Machtergreifung. Schon mehrfach war dieser Tag in der Vergangenheit genutzt worden, um wichtige Grundsatzentscheidungen zu verkünden. Nun, so waren sich alle Beobachter sicher, durfte zu diesem wichtigen Jubiläum ähnliches zu erwarten stehen.

Das Ende der „Nationalen Revolution“[]

Hermann Goering Leichenrede

Hermann Göring bei seiner Rede zum 10. Jahrestag der Machtergreifung, 30. Januar 1943

Der erwartete Paukenschlag kam: In einer national wie international viel beachteten Rede, in der er nicht nur die Erfolge Hitlers, sondern auch sehr deutlich die Fehler der ersten Jahre benannte, skizzierte Hermann Göring seinen Fahrplan für die nächsten zehn Jahre. Im engen - allerdings noch in den Sternen stehenden - Bunde mit dem "angelsächsischen Brudervolk" kündigte er dem Bolschewismus eine schonungslose Abrechnung an. Stalin vermutete er unter anderem hinter den im Zuge der Wirtschaftskrise immer wieder aufflammenden Arbeiterprotesten im Reich, die in seinem Verständnis nur Ergebnis einer kommunistischen Unterwanderung der Arbeiterschaft und der Deutschen Arbeitsfront sein konnten. Seit 1941 war das Großdeutsche Reich infolge des endgültigen Versiegens seiner Devisenquellen international zahlungsunfähig und konnte fortan weder seine Auslandsschulden begleichen noch Güter aus dem Ausland importieren. Die Rohstoffwirtschaft brach vollends zusammen, was katastrophale Auswirkungen auf die Produktivität hatte. Die Bürger rief er auf, gegen jegliche Provokation fest zusammenzustehen und antinationale Bestrebungen umgehend den Behörden zu melden.

Erstmalig bekannte sich der Reichsmarschall aber in seiner Grundsatzrede auch öffentlich zu seinen politischen Grundpositionen, insbesondere zu der Überzeugung, dass es mit erfolgtem Umbau des Staates einer äußeren regulierenden Kraft wie der NSDAP nicht mehr bedürfe. In der Tat habe die nationalsozialistische Bewegung ihre Aufgabe als Übergangsstadium vom "Parteienfilz von Weimar" zum "wahrhaft nationalen Einheitsstaat" nunmehr erfüllt. In diesem Sinne erklärte er auch die einst von Hitler selbst ausgerufene "Nationale Revolution" für abgeschlossen. Zum ideologischen Leitsatz erhoben wurden stattdessen die sogenannten "Drei N's": Nationalsozialismus - Nationaldemokratie - Nationalabsolutismus. Im Zuge dieser Neuausrichtung verkündete er nun auch öffentlich die schon lange vorbereitete Einsetzung eines 'Reichssenats des Großdeutschen Reiches', der die neu gestaltete Verfassungsordnung des NS-Staates verstetigen und vor allem auch den Nachfolger des Führers küren solle. Der zukünftige "beste aller Deutschen" werde frei von ideologischen Schranken nur das Wohl des gesamten Deutschen Volkes im Blick haben und auf Lebenszeit den kollektiven Volkswillen verkörpern.

Reinhard Heydrich und die Verschwörung zum Umsturz[]

Für Heß und Himmler, ganz besonders aber für Reinhard Heydrich bedeutete dies einen direkten Angriff auf die Existenz der Partei und auf Hitlers Vermächtnis, mit dem sich Göring in ihren Augen selbst delegitimiert habe. Heydrich war wie kein Zweiter kaltblütig und fanatisch, das Idealbild des Nationalsozialisten, den Hitler sich erträumt hatte. Sein Fanatismus ging, so hielten sich Gerüchte, sogar so weit, dass er selbst Hitler für zu schwach hielt, das Nötige zu unternehmen, um das Reich im Sinne der Ideologie zum Erblühen zu bringen. Im engsten Bekanntenkreis wurden ihm Ambitionen nachgesagt, eines Tages selbst die Staatsführung zu übernehmen und bis dahin systematisch jede Chance zu ergreifen, die sich ihm bot, die Ausgangslage für einen solchen Versuch zu verbessern. Ein entschiedenes und schnelles Handeln schien ihm nun unumgänglich.

Beteiligung von Rudolf Heß[]

Hess Rede

Rudolf Heß in seiner liebsten Rolle: Als Hohepriester des Hitlerkultes

Seit der Amtsübernahme Hermann Görings war der Einfluss der Partei auf den Staat schrittweise zurückgefahren worden. Zwar hatte sie immer noch wesentliche Mitspracherechte bei der Besetzung von Posten auf kommunaler Ebene und stellte häufig in Personalunion durch ihre Gauleiter auch die Reichsstatthalter oder Gauhauptmänner der Reichsgaue, doch führte dies - ganz im Sinne von Görings Vorstellung eines Staats-Absolutismus - mehr zu einer Verstaatlichung der Partei als zu einer Kontrolle des Staates durch die Partei. Ihre Organisationsstruktur war immer weiter entkernt und vor allem die Reichsleiter den für ihre Sachgebiete zuständigen Ministerien als Staatssekretäre zugeordnet worden. Ein zusammenhängendes Gebilde NSDAP bestand zum Jahresbeginn 1943 faktisch nicht mehr. Die Hitlerjugend ähnelte mit der Zeit eher den früheren Pfadfindergruppen und führte die Kinder und Jugendlichen an Selbstständigkeit, Naturverbundenheit und Sport heran. Diese Entwicklung stieß innerhalb der Partei auf entschiedenen Widerspruch, der sich auch darin äußerte, dass die Reichstagsfraktion immer selbstbewusster wurde und seit dem Tod Hanns Kerrls nicht selten in Opposition zur Reichsregierung stand. Daher regierte die Reichsregierung de facto auf Grundlage des Notverordnungsrechts des Reichspräsidenten und musste darauf hoffen, dass der Reichstag diese Verordnungen nicht aufhob. Das Regieren wurde so für Göring zu einem Drahtseilakt, ein Absturz schien stets möglich. Auch die Reichsregierung zerstritt sich immer wieder, sodass zahlreiche Gesetzesvorhaben erst nach langer Diskussion und in vielen Fällen auch durch Kuhhandel unter den Ministerien zustande kamen. In der Zeit seit 1941 hatte der Reichstag nicht weniger als 43 Führererlasse bzw. Notverordnungen Görings außer Kraft gesetzt und verweigerte ihm bisweilen über Monate die Gefolgschaft bei regulären Gesetzgebungsverfahren, um ihm an anderer Stelle Zugeständnisse abzuringen. So wurde die Reichsregierung in ständigen Rückzugsgefechten mit der Partei aufgehalten. Besonders Rudolf Heß, dem Göring zwar de facto die Führung der Partei überließ, gleichzeitig aber ihre Strukturen immer mehr untergrub, zeigte sich besorgt über seinen weitgehenden Machtverlust.

So war es Heydrich ein Leichtes, Heß für den Umsturz zu gewinnen. Darin wurde dieser insbesondere von seinem machtbewussten Stabsleiter Martin Bormann bestärkt, der zum engsten Verschwörerkreis um Heydrich gehörte. Bormann, der nach dem Tod Hitlers zum eigentlichen Hauptorganisator der NSDAP aufgestiegen war und den Stellvertreter des Führers, der mit den Jahren immer stärker schizophrene Züge entwickelte und durch andauernde Kopfschmerzen häufig kaum ansprechbar war, immer mehr in eine zeremonielle Rolle abgeschoben hatte, verfügte nach Himmler wohl über die größten Ressourcen für einen Staatsstreich. Auch machte er sich Hoffnungen, as Kanzleichef oder durch ein Ministeramt in die zentralen Schaltstellen der Macht vorzudringen.

Beteiligung von Heinrich Himmler[]

Heinrich-Himmler-Waffen-SS-1944

Heinrich Himmler bei der Inspektion der SS-Verfügungstruppen, 1941

Ein Großteil der Bestrebungen Görings waren darauf gerichtet gewesen, seinen aufstrebenden Konkurrenten Himmler einzuhegen und zu behindern. Vordergründig hatte er damit einigen Erfolg. Dem Reichsführer-SS blieben diese Bestrebungen Görings, ihn auszubooten, jedoch nicht verborgen. Insbesondere über seine Kontakte zur Wirtschaft versuchte Himmler in den Jahren nach 1939, politischen Druck auf Göring auszuüben und ihm Zugeständnisse abzupressen, was wiederum im Reichstag zu Spannungen führte, die auch der Öffentlichkeit nicht entgingen. Im Bereich der Polizei betrieb er systematisch die Ablösung aller bislang noch im Amt befindlichen Polizeikommandanten aus den Reihen der SA. Auch das restliche Beamtenkorps wurde nach und nach ausgesiebt. Irgendwann, so war beiden klar, mussten sie entweder einen Weg finden, sich zu arrangieren, oder es musste zur offenen Konfrontation kommen. Mit seinen Angriffen auf Himmler gab Göring allerdings unwillentlich genau dem falschen Mann die richtigen Mittel in die Hände gab, die dieser brauchte, um seine eigenen Ziele voranzutreiben.

Görings Dauerkonflikt mit Himmler konnte Heydrich so insofern zu seinem Vorteil nutzen, als er den Reichsführer-SS so gerade angesichts regelmäßiger Gefälligkeiten des Reichsmarschalls seiner fortwährenden Treue versichern konnte. Dass sich Himmler mit der Zeit in eine völlig Abhängigkeit von Heydrich manövrierte, indem dieser immer wieder mit den Zuwendungen Görings und einer möglichen Beförderung Druck aufbauen konnte, erkannte er nicht. So bewahrheitete sich letztlich in katastrophaler Weise die Einschätzung des Reichsmarschalls, der Himmler einmal als "strunzdoof" bezeichnet hatte. Auch der ursprünglich von Hermann Göring stammende Satz "Himmlers Hirn heißt Heydrich" wirkte so im Nachhinein prophetisch. Himmler wurde manipulier- und erpressbar und stellte sich so eher durch sein Unvermögen, sich aus der Umklammerung Heydrichs zu lösen, als durch eigenen Entschluss als nomineller Anführer des Putsches zur Verfügung.

Der Himmlerputsch[]

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Ein Soldat der SS-Verfügungstruppen im Kampfeinsatz

Als Auftakt zur Machtübernahme wähle man den 8. November 1943, den 20. Jahrestag des Marsches auf die Feldherrenhalle, des gescheiterten Hitlerputsches von 1923. Seit Jahren hatte Reichsmarschall Hermann Göring nicht mehr persönlich an der zentralen Gedenkfeier im Bürgerbräukeller in München teilgenommen, was viele alte NSDAP-Kader erzürnte und als Affront gegenüber den Blutzeugen der Bewegung empfunden wurde, zu denen Göring selbst ebenfalls zählte. Traditionell ließ sich Göring bei diesem Anlass vom Stellvertreter des Führers Rudolf Heß vertreten, der seit dem Tod Hitlers de facto als Parteichef agierte - eine Aufgabe, um die sich der Reichsmarschall nie ernsthaft bemühte, was ebenfalls als Geringschätzung der Partei aufgefasst wurde. Göring selbst weilte stattdessen in Italien auf Staatsbesuch bei Italo Balbo.

In den ersten beiden Tagen des Aufstandes gelang es den Putschisten unter Federführung von Heydrich zunächst, einen beträchtlichen Teil des Reiches unter Kontrolle zu bringen, während Göring in Rom ausharren musste. Einige seiner engsten Mitarbeiter wurden verhaftet. Das Heer unter seinem Oberbefehlshaber, Generalfeldmarschall Walther von Brauchitsch, unternahm zunächst nichts, um die Machtübernahme der Putschisten zu verhindern. So konnten Heß, Himmler und Heydrich zunächst am Morgen des 10. November unbehelligt in die Reichskanzlei einziehen und sich in einer Radioansprache an das Volk wenden.

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Die Zentrale der Sicherheitspolizei nach ihrer Erstürmung

Erst als Rudolf Heß, der persönlich nach Italien gereist war, um Görings Auslieferung zu erwirken, dort auf Betreiben Balbos festgesetzt worden war, während Göring selbst über den Brenner und mit italienischer Unterstützung wieder deutschen Boden betreten und von Brauchitsch im gesamten Reichsgebiet die unmittelbare vollziehende Gewalt übertragen hatte, um den Aufstand niederzuschlagen, wendete sich das Blatt gegen die Putschisten. In den folgenden zwei Wochen konnten die Wehrmacht und die erst spät zu Göring übergelaufene Ordnungspolizei unter Alfred Wünnenberg die Kontrolle der Reichsregierung wiederherstellen. In mehreren Städten kam es zu heftigen Straßenschlachten zwischen Wehrmacht und SS, bis schließlich am Abend des 22. November mit der Leibstandarte Adolf Hitler und den schwer bewaffneten SS-Verfügungstruppen im Berliner Regierungsviertel die letzten Aufständischen kapitulierten und sich Heinrich Himmler in seiner Dienstwohnung das Leben nahm.

Die Herrschaft Görings war dadurch noch einmal gesichert und Partei und SS wurden als eigenständiges Machtzentrum beseitigt, allerdings saß der Schock beim Reichsmarschall über die Vorgänge so tief, dass er sich anschließend immer stärker ins Privatleben zurückzog und nur noch selten öffentlich in Erscheinung trat. Auch seine Morphinsucht verschlimmerte sich in den Folgejahren zusehends. Die Führung des Reiches lag seitdem weitgehend in den Händen von Paul Körner und Karl Bodenschatz. Unter ihnen etablierte sich ein vornehmlich von Technokraten gesteuertes System, das mit dem revolutionären Nationalsozialismus Hitlers immer weniger Berührungspunkte hatte. Das Großdeutsche Reich wandelte sich in der Folge endgültig von einem ideologisch fundierten faschistischen Staat zu einer klassischen Militärdiktatur.

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